Wenn Du mich heute wieder fragen würdest

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Der Roman „Wenn Du mich heute fragen würdest“  der amerikanischen Autorin Mary Beth Keane ist ein Familienroman, der sich 30 Jahre über das Leben der Familien Stanhope und Gleeson zieht.

Er beginnt im Jahr 1973. Zwei junge Polizisten, Francis Gleeson und Brian Stanhope, versehen gemeinsam in New York ihren Streifendienst, verlieren sich allerdings danach aus den Augen. Sie treffen sich nach einigen Jahren wieder, weil sie in der New Yorker Vorstadt Gilliam zufällig direkte Nachbarn werden. Beide sind mittlerweile verheiratet. Bei Francis Gleeson und seine Frau Lena stellt sich sehr schnell hintereinander Nachwuchs ein (3 Töchter), während Brian Stanhope und seine Frau Anne erst spät ihren Sohn Peter bekommen. Die Beziehung zwischen beiden Familien bleibt aber distanziert, was vor allem an Anne Stanhope liegt. Sie ist psychisch krank und meidet den Kontakt zu den Nachbarn. Aber auch das Familienleben und vor allem die Ehe leidet unter ihrer Labilität.

Trotzdem sind die beiden Familien miteinander verbunden, was an der besonderen Beziehung zwischen der jüngsten Gleeson-Tochter Kate und Peter liegt. Beide gehen gemeinsam zur Schule und verbringen auch ihre Freizeit miteinander. Im Laufe der Jahre wird mehr daraus und es entwickelt sich eine zarte Teenagerliebe. Diese endet jedoch schlagartig durch einen tragischen Vorfall, bei dem Anne Stanhope, deren psychischer Zustand sich immer weiter verschlimmert, den Nachbarn Francis Gleeson anschießt und schwerstens verletzt.

Ab sofort ist nichts mehr so, wie es bisher war. Bei den Gleesons dreht sich fortan alles nur um den schwerstbehinderten Vater Francis. Anne Stanhope kommt ins Gefängnis.  Durch die Gerichts- und Anwaltskosten haben Vater Brian und Sohn Peter alles verloren und so ziehen sie zu Brians Bruder  nach Queens/New York in eine winzige Stadtwohnung. Irgendwann  kündigt der Vater seinen Dienst bei der Polizei und lässt Peter einfach bei dem Onkel zurück und zieht nach Florida.  Die Mutter ist mittlerweile in der  geschlossenen Psychiatrie. Vom Vater alleingelassen ist die Liebe zu seiner Mutter ungebrochen, aber sie will ihn nicht sehen und verweigert seine Kontaktversuche.

Peter und Kate sind räumlich voneinander getrennt, ihre Liebe bleibt aber bestehen. Nach außen hin lebt jeder sein Leben, nach innen jedoch denken sie unentwegt an den anderen. Die Jahre vergehen, beide beenden die Highschool, machen ihren Collegeabschluss. Nach viereinhalb Jahren schreibt Peter aus einem plötzlichen Impuls heraus  Kate einen Brief und beide finden wieder zueinander. Sie werden ein Paar, ziehen zuerst in einer kleinen Wohnung in New York, später in ein Haus in der Vorstadt, zwei Kinder werden geboren.

Die beiden Familien heißen ihre Beziehung und Ehe nicht gut, dazu sind die Narben aus der Vergangenheit noch zu tief. Kates und Peters Liebe ist jedoch stark genug trotz dieser Ablehnung zu bestehen. Sie wird dann doch auf eine harte Probe gestellt, als Peters Alkoholproblem eskaliert und er sogar seinen Job bei der Polizei verliert. In dieser Situation nimmt Kate Kontakt mit Peters Mutter auf. Anne ist mittlerweile nach vielen Jahren aus der Psychiatrie entlassen worden. Sie beobachtet Peter bereits seit vielen Jahren aus der Distanz heraus. Sie liebt ihn sehr, traut sich aber nicht Kontakt aufzunehmen. Die Schuldgefühle sind zu groß. Kate weiß um die heimliche Anwesenheit der Mutter, ignoriert sie aber bisher. Nun, nach 23 Jahren,  ist sie der Meinung, Anne täte Peter in seiner persönlichen Krise gut. Anne geht darauf ein, obwohl sie Kates Familie immer noch nicht mag. Sie spürt jedoch, dass Kate wichtig für Peter ist. Immerhin ist sie die einzige Konstante in seinem bisherigen, von Verlusten geprägten, Leben. Und tatsächlich nähern sich alle zaghaft an. Es kommt sogar zu einer Begegnung zwischen Täter (Anne) und Opfer (Francis).

Dieser fast 500 Seiten starke Roman fesselt uns Leser. Es ist ein berührender Familienroman mit fein und einfühlsam gezeichneten Charakteren, ohne Zuckerguss und schmalziger Romantik. Andere Rezensenten bezeichneten ihn als moderne Romeo-und Julia-Geschichte. Das ist es aber ganz und gar nicht. Es geht zwar um eine Liebe, die alle Widerstände übersteht, aber eigentlich ist es ein tiefsinniger Roman über Schuld, über das Tragen einer schweren Bürde, über Wiedergutmachung und vor allem Vergebung. Francis vergibt Anne ihre Tat denn er  erkennt: „Und indem er ihre Bürde erleichterte, spürte er, wie er auch seine erleichtert hatte“.  Alle tragischen Geschehnisse und alle inneren und äußeren Verletzungen hatten sie als Familien zusammengeschweißt, alle gewinnen mehr, als sie verlieren. Vielleicht fasst ein Satz in der Danksagung der Autorin das Buch treffend zusammen:  Güte ist das einzige Geheimnis der Liebe.


Keane, Mary Beth: Wenn du mich heute wieder fragen würdest
Eisele Verlag 2020
Gebunden, 24,00 € 978-3-96161-096-9
eBook, 19,99 €, 978-3-96161-103-4