Geklagt, geräumt, eingelagert – Zwangsräumungen in der Anwaltspraxis

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Weiterhin jährlich viele Zwangsräumungen

Die Zahl der jährlichen Zwangsräumungen in Deutschland bleibt hoch. Allein im Jahr 2017 gingen allein in Berlin rund 4600 Räumungsklagen von Vermietern bei Gericht ein. Unter allen Vollstreckungsmaßnahmen, die Kanzleimitarbeiter für Mandanten einleiten können, stellt die Zwangsräumung den wohl schwersten Eingriff für den Schuldner dar. Denn er greift massiv in die persönlichen Lebensverhältnisse ein, es droht akute Obdachlosigkeit. Dabei kümmern sich die Städte mittlerweile intensiver darum, den Verlust der Wohnung zu vermeiden und beraten Mieter in finanziellen Schwierigkeiten. Die Kommunen erfahren zwangsläufig davon, da Gerichtsvollzieher verpflichtet sind, vor jeder Räumung die städtische Fachstelle zu benachrichtigen. Zudem schalten sich viele Wohnungsgesellschaften mittlerweile frühzeitig aktiv ein und überlegen mit dem Mieter, wie Mietschulden leistbar abgebaut und eine Räumung vermieden werden kann. Das geschieht natürlich auch aus Eigeninteresse. Zwangsräumungen binden Zeit und kosten Geld. Geld, das der Vermieter später kaum mehr wiedersieht. Denn wer schon die Miete nicht bezahlen kann, wird kaum die Kosten für Anwalt, Gericht, die Spedition und die Einlagerung von Möbeln aus dem Ärmel schütten können. Und die summieren sich schnell auf mehrere Tausend Euro.

Hinweis: Hilfreiche Muster und Hinweise für eine Räumungsklage finden Sie in verschiedenen Werken in der ReNoSmart Bibliothek, bspw. in AnwaltFormulare (Heidel/Pauly/Amend) oder in Zwangsvollstreckung effizient (Dörndorfer).Auszubildende können die gesetzlichen Grundlagen zur Räumung, die Sie im Fachkundeunterricht oder in Klausuren benötigen, in Fachkunde für die Rechtsanwaltspraxis (Steffen/Erlemann/Steffen) nachlesen.

Räumungsschutz nach § 765a ZPO – nur wenn die Voraussetzungen stimmen

Das Gesetz ermöglicht Schuldnern, sich gegen eine Zwangsräumung zu wehren. § 765a ZPO regelt den sogenannten Vollstreckungsschutzantrag. Dieser ist nicht fristgebunden, allerdings muss eine Räumung konkret drohen bzw. eine Räumung eingeleitet worden sein. Ein Muster für die Sachbearbeitung in der Kanzlei finden Sie in Arbeitsplatz ReFa: Der Allrounder (Baumgärtel/Brunner/Bugarin)

Grundsätzlich muss die Vollstreckungsmaßnahme zu einem untragbaren Ergebnis für den Schuldner führen, um einen Schutzantrag zu rechtfertigen. Prüfungsmaßstab sind die vollstreckungsbedingten Folgen einer konkreten Maßnahme, in diesem Fall also, die eigenen vier Wände zu verlieren. Das Gericht muss schlicht Justitias Waagschalen füllen und abwägen: In der einen Schale das Schutzbedürfnis des Gläubigers und sein allgemeines Vollstreckungsinteresse, in der anderen die Schuldnerinteressen. Damit ein Vollstreckungsschutz gerechtfertigt ist, muss am Ende ein für den Schuldner ein untragbares Ergebnis stehen, beispielsweise eine Suizidgefährdung (BGH, Beschl. v. 21.09.2017, Az. I ZB 125/16)

Das LG Stuttgart entschied in einem jüngeren Einzelfall genauer dazu (Beschl. v. 05.12.2017, Az. 19 T 460/17). Es können auch Nachteile zu berücksichtigen sein, an denen der Schuldner selbst schuld ist. Die machen sich dann in der Waagschale kaum bemerkbar, wenn die Nachteile vermeidbar und für den Schuldner auch gut vorauszusehen waren. Vorliegend war dies der Fall: Dass ihm sein Arbeitslosengeld 2 gesperrt wurde, lag daran, dass er der zuständigen Agentur für Arbeit angeforderte Kontoauszüge nicht vorgelegt hatte. Wichtig ist auch, was das LG konkret zu den zu Nachteilen sagte: Nur überdurchschnittliche Belastungen können einen Vollstreckungsschutz rechtfertigen. Das bedeutet: Solche Nachteile, die zwangsläufig mit einer Vollstreckung verbunden sind, reichen nicht aus. Sich eine neue Wohnung zu suchen und umziehen zu müssen gehören zu einer Räumung logischerweise dazu und sind hinzunehmende Härten. Dass eine Ersatzwohnung fehlt bedeutet dabei keine Härte, die einen Schutzantrag nach § 765a ZPO rechtfertige. Hinzu komme, so das LG, dass der Schuldner, obwohl er hierzu aufgefordert wurde, durch die von ihm eingereichten Nachweise nicht nachweisen konnte, dass er sich intensiv um eine Ersatzwohnung bemüht hatte.

Sofern Mietschulden entstehen und konkret die Räumung der Wohnung droht, ist es dem Mieter auch möglich, eine Schuldübernahme beim Jobcenter zu beantragen (§ 22 Abs. 8 SGB II), welche in der Regel als Darlehen erfolgt (LSG Sachsen, Beschl. v. 16.08.2018, Az. L 3 AS 508/18 B ER). Der Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO bietet daher konkreten Schutz nur in Ausnahmefällen und ein Antrag muss entsprechend begründet sein.

Wichtig

Häufig müssen Rechtsanwaltsfachangestellte aus einem Räumungstitel vollstrecken, der sich gegen mehrere Personen als Gesamtschuldner richtet. Bei einer gesamtschuldnerischen Haftung ist jeder der Schuldner in der Pflicht, so das LG Frankfurt (Beschl. v. 10.06.2015, Az. 2 T 2-9 T 162/15). Die ganze Leistung besteht darin, die Wohnung vollständig zu räumen. Dies gilt auch, sofern einer von zwei Mietern schon ausgezogen ist, bevor die Räumung der Wohnung beginnt.

Dieser Beitrag wird zur Verfügung gestellt von: ReNoSmart, die Online-Bibliothek für Kanzlei- und Notariatsmitarbeiter


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