Wiederaufnahme Scheidungsverfahren nach 15 Jahren

Fragen rund um die neuen Rechtsanwaltsgebühren nach RVG ab 01.08.2013
Antworten
Benutzeravatar
rit-sch
Daueraktenbearbeiter(in)
Beiträge: 444
Registriert: 12.10.2009, 13:49
Beruf: Rechtsanwaltsfachangestellte
Software: Advoware
Wohnort: Iserlohn

#1

09.06.2014, 12:27

Hallo Leute,

ich habe da was, wo meine Chefin und ich ziemlich auf dem Schlauch stehen bzw. uns nicht einig sind.

Meine Chefin hatte in 1998 eine Mandantin im Scheidungsverfahren vertreten. Das Verfahren wurde nach meiner Information dann nicht weiter betrieben, wurde aber auch nie formell zum Abschluss gebracht. Die Prozessgebühr wurde damals vom Gegner gezahlt.
Jetzt hat die Gegenseite das alte Verfahren wieder aufgerufen.
Es stellt sich die Frage, wie dies dann jetzt abzurechnen ist.

Meine Chefin vertritt die Meinung, dass noch nach BRAGO unter Anrechnung der damals abgerechneten Prozessgebühr abzurechnen ist, weil das Verfahren ja nie beendet worden sei.

Ich meine, dass die Gebühren neu anfallen, weil die 2-Jahres-Frist greift. Auch wenn das Verfahren nie abgeschlossen wurde, gilt es doch mindestens nach 3 Monaten des Ruhens als beendet. Ich würde also ganz normal nach RVG ab 01.08.13 abrechnen und auch die seinerzeit abgerechnete Prozessgebühr nicht anrechnen, weil die Gebühren neu entstehen.

Wie seht ihr das?
Liebe Grüße
Rita


Sie können nie so krumm denken, wie es kommen kann, sagte mein Bürovorsteher während meiner Ausbildung immer. Er hatte recht.
Jupp03/11

#2

09.06.2014, 12:46

§ 15
Abgeltungsbereich der Gebühren
.

(1) Die Gebühren entgelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit.

(2) Der Rechtsanwalt kann die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern.

(3) Sind für Teile des Gegenstands verschiedene Gebührensätze anzuwenden, entstehen für die Teile gesondert berechnete Gebühren, jedoch nicht mehr als die aus dem Gesamtbetrag der Wertteile nach dem höchsten Gebührensatz berechnete Gebühr.

(4) Auf bereits entstandene Gebühren ist es, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, ohne Einfluss, wenn sich die Angelegenheit vorzeitig erledigt oder der Auftrag endigt, bevor die Angelegenheit erledigt ist.

(5) Wird der Rechtsanwalt, nachdem er in einer Angelegenheit tätig geworden ist, beauftragt, in derselben Angelegenheit weiter tätig zu werden, erhält er nicht mehr an Gebühren, als er erhalten würde, wenn er von vornherein hiermit beauftragt worden wäre. Ist der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt, gilt die weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit und in diesem Gesetz bestimmte Anrechnungen von Gebühren entfallen. Satz 2 gilt entsprechend, wenn ein Vergleich mehr als zwei Kalenderjahre nach seinem Abschluss angefochten wird oder wenn mehr als zwei Kalenderjahre nach Zustellung eines Beschlusses nach § 23 Absatz 3 Satz 1 des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes der Kläger einen Antrag nach § 23 Absatz 4 des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes auf Wiedereröffnung des Verfahrens stellt.

(6) Ist der Rechtsanwalt nur mit einzelnen Handlungen oder mit Tätigkeiten, die nach § 19 zum Rechtszug oder zum Verfahren gehören, beauftragt, erhält er nicht mehr an Gebühren als der mit der gesamten Angelegenheit beauftragte Rechtsanwalt für die gleiche Tätigkeit erhalten würde

Dürfte hier, wie du selbst schreibst, anzuwenden sein.
Benutzeravatar
13
NORTHERN DINO
NORTHERN DINO
...ist hier unabkömmlich !
Beiträge: 17711
Registriert: 02.04.2006, 21:36
Beruf: Dibbel-Ribbel i.R.
Wohnort: Siehe Flagge

#3

09.06.2014, 13:06

Ich halte mal dagegen: Bei bloßem Nichtbetreiben haben der BGH und das OLG Schleswig das anders gesehen (aus juris)... Fraglich kann allerdings sein, ob sich der lange Zeitraum evtl. auswirkt (nach ganz überwiegender Meinung aber nicht).

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht 5. Senat für Familiensachen
Entscheidungsdatum: 28.01.2013
Aktenzeichen: 15 WF 363/12
Dokumenttyp: Beschluss

Vergütung des Prozesskostenhilfeanwalts in Ehesachen: Erneuter Gebührenanspruch nach Nichtbetreiben des Scheidungsverfahrens; Wiederaufnahme eines mehr als zwei Jahre ruhenden Verfahrens als neue Angelegenheit

Leitsatz
Wird ein Ehescheidungsverfahren von beiden Beteiligten nicht betrieben und hat der beigeordnete Verfahrensbevollmächtigte eine Vergütung erhalten, erhält er dieselbe Vergütung nicht noch einmal, wenn das Verfahren mehrere Jahre später fortgeführt wird; die Ausnahmeregelung des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG findet keine Anwendung.(Rn. 8 )

Orientierungssatz
Zitierung: Anschluss BGH, 30. März 2006, VII ZB 69/05, NJW 2006, 1525.

Aus den Gründen:
5
Die Beschwerde ist gemäß § 56 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 bis 8 RVG zulässig, aber unbegründet.

6
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers liegen die Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG nicht vor.

7
Der BGH hat in einem Beschluss vom 30.03.2006 (NJW 2006, 1525) zum damals geltenden entsprechenden § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO ausgeführt, dass die Vorschrift bei einer Verfahrensunterbrechung nur anwendbar sei, wenn einem Rechtsanwalt nach Erledigung eines früheren Auftrags ein weiterer Auftrag erteilt worden sei. Nach dem Ende der Aussetzung des Verfahrens sei ein solcher Auftrag aber zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig. Der BGH hat ferner entschieden, dass die Vorschrift nicht an die Fälligkeit der Vergütung des Rechtsanwalts für den bisherigen Auftrag anknüpfe und damit nicht den Fall regele, dass weder ein neuer Auftrag erteilt noch ein früherer Auftrag erledigt, aber die Angelegenheit mehr als zwei Kalenderjahre von dem Rechtsanwalt nicht bearbeitet worden sei.

8
An dieser rechtlichen Würdigung hat sich durch die weitgehend unveränderte Nachfolgeregelung des § 15 RVG nichts geändert. Demnach kann auch bei einem bloßen Nichtbetreiben des Verfahrens nach Ablauf von zwei Kalenderjahren allein eine weitere Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht schon zu einer neuen Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG führen. Die mangelnde Mitwirkung beider Eheleute im Versorgungsausgleichsverfahren, das Weglegen der Akten wegen Nichtbetreibens des Verfahrens und der Antrag des Beschwerdeführers vom 05.04.2011, das Verfahren fortzusetzen, machen die Sache nicht zu einer neuen Angelegenheit. Das Weglegen der Akten beruht auf entsprechenden Vorschriften in der Aktenordnung und hat ausschließlich gerichtsinterne Bedeutung. Der Rechtsanwalt bleibt in Fällen des Ruhens, der Aussetzung oder der Unterbrechung des Verfahrens beauftragt, die Angelegenheit ist nicht erledigt. Denn er muss regelmäßig prüfen, ob die Voraussetzungen der Unterbrechung, der Aussetzung und des Ruhens noch gegeben sind (AnwK-RVG/Schneider, 6. Auflage 2012, Rn. 287 f.). Das gilt auch für den Fall des Nichtbetreibens des Verfahrens, dessen Gründe dem Gericht verborgen bleiben. Es ist zudem nicht vorgetragen und nicht ersichtlich, dass der Antragsteller seinerzeit das Mandat mit dem Beschwerdeführer formal beendet und ihm 2011 einen neuen Auftrag erteilt hat.

9
Mit dieser Rechtsauffassung folgt das Beschwerdegericht der im Anschluss an die o.a. Entscheidung des BGH veröffentlichten Auffassung anderer Oberlandesgerichte in Fällen des Ruhens und der Aussetzung des Verfahrens (OLG Köln, AGS 2011, 321; KG FamRZ 2011, 667; OLG Oldenburg FamRZ 2011, 665; a.A. OLG Brandenburg, AGS 2009, 432, allerdings ohne Auseinandersetzung mit der Entscheidung des BGH; ferner <a href="http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3406574025/ref=nosim/foreno-21" target="_blank">Gerold/Schmidt</a>/Mayer, 20. Auflage, Rn. 153 zu § 15 RVG) und der Entscheidung des FG Baden-Württemberg vom 23.08.2010 zu dem Fall des Nichtbetreibens eines gerichtlichen Verfahrens (AGS 2010, 606).

10
Dieses Ergebnis ist für den Beschwerdeführer im konkreten Fall auch nicht unbillig. Wenn man berücksichtigt, dass die Vorschrift den für eine völlige Neueinarbeitung erforderlichen Aufwand des Rechtsanwalts vergüten soll, war eine solche hier nicht erforderlich. Denn die konkreten Scheidungsvoraussetzungen bedurften keiner Einarbeitung, und 2007 lagen Auskünfte im Versorgungsausgleich nicht vor, so dass die entsprechende Arbeit erst mit der Fortsetzung des Verfahrens begann.

~ Grüßle ~
BildBild Bild

Bild

Veni, vidi, violini (Ich kam, ich sah, ich vergeigte)... :roll: 257

>>> Bitte keine Sachfragen per pN.
Nutze das Forum zum Vorteil aller! <<<
Benutzeravatar
rit-sch
Daueraktenbearbeiter(in)
Beiträge: 444
Registriert: 12.10.2009, 13:49
Beruf: Rechtsanwaltsfachangestellte
Software: Advoware
Wohnort: Iserlohn

#4

15.06.2014, 11:40

:thx

Werde dann mal meine Chefin über eure Antworten informieren. Soll sie das entscheiden.
Liebe Grüße
Rita


Sie können nie so krumm denken, wie es kommen kann, sagte mein Bürovorsteher während meiner Ausbildung immer. Er hatte recht.
Antworten