Neu + Azubi - das Chaos ist perfekt

Hier hinein gehören alle Themen rund um Büroorganisation, Büroverwaltung, Kanzleiorganisation etc.
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#1

19.10.2020, 22:42

Meine Lieben,

vor 3 Monaten habe ich bei meiner neuen Kanzlei angefangen zu arbeiten. Ich bin dort mit einer Azubine und Chaos überrascht worden.

Zunächst zum Chaos.
Seit über einem Jahr hat mein Chef keine Angestellte gefunden mit der er zufrieden war. Sie alle sind noch in der Probezeit gegangen worden. Wir zwei verstehen uns und ich weiß auch wie eine Büroorganisation aussehen sollte, aber aufgrund der ganzen Akten die im letzten Jahr liegen geblieben sind, brennt es überall. Es ist sehr schwer Unterlagen (auch wichtige) zu finden und zu sortieren. In dem Büro meines RA türmen sich die Papierstapel. Ich hab schon einiges rausgezogen, wo mir ein wenig schlecht wurde :angst . Mein Chef ist selbst auch ein Chaot. Ein weiteres Problem ist, dass mein RA die Angewohnheit hat, in das Büro reinzuschneien und sofort alles haben zu wollen. Das verursacht bei mir Stress, Hektik und leichte Panik. Ich muss dann sofort alles stehen und liegen lassen und das machen, was er angeschafft hat. Und immer (ich schwöre, das Telefon hat sich gegen mich verschworen), wenn ich wieder meine ursprüngliche Arbeit aufnehmen möchte, klingelt das Telefon. So kommt es, dass überall halb fertige Akten rumliegen und ich dann nach einer Woche gefragt werde, warum die eine Akte noch nicht abgerechnet wurde (mal ganz abgesehen davon, dass sämtliche Akten vor dem Abrechnen noch vervollständigt werden müssen, weil teilweise Unterlagen fehlen, z.B. der Streitwertbeschluss :patsch ).

Und nun zu meiner Azubine
Die Arme ist wirklich bemüht, hat aber derzeit eine Schulaufgabe nach der anderen, weil die Lehrer die Noten machen wollen bevor der nächste Lockdown kommt und in einem Monat hat sie Zwischenprüfung. Sie ist gut und hat 2er und 3er. Also nichts allzu Schlimmes, ich bin stolz auf sie, weil sie es in der Situation schafft, die Schule einigermaßen hinzubekommen. Aber sie hat schon 4 "Ausbilder" hinter sich und ich würde ihr gerne die Stabilität geben, die sie in dem Beruf braucht und ich würde ihr sehr gerne mehr beibringen. Sie ist nun im 2. Lehrjahr und hat noch nie eine Rechnung geschrieben. Absolut traurig. Ich würde mich auch gerne mit ihr hinsetzen und zeigen, wie man Forderungskonten macht, mit der Rechtsschutzversicherung korrespondiert und wie eigentlich eine Kanzleiorganisation aufgebaut sein muss. Aber es ist mir kaum möglich. Immer wenn ich mich mit ihr zusammensetze, kommt unser RA rein und möchte ganz dringend etwas erledigt haben, oder das Telefon klingelt alle 2 Minuten.

Ich habe meinen Chef nun so weit, dass wir 2 Mal die Woche eine Besprechung über Fristen und Termine abhalten und weitere dringende Angelegenheiten abarbeiten.

Ich hätte jedoch gerne wieder einen Kanzleiablauf, wie in meiner letzten Stelle:
Montag Morgen alle Fristen und Termine für die Woche raussuchen, mit Chef besprechen und vorbereiten.
Jeden Tag in der Früh (ich veranschlage da in der Regel 2 Stunden) den Posteingang (also Mail, Post, beA, Fax) zur Akte speichern und heften und die Kenntnisnahmen entweder schon verschicken od. vorbereiten und danach Rücksprache mit Chef halten. Danach Fristenbearbeitung des Tages, anschließend Aktenbearbeitung und Wiedervorlagen bearbeiten.

Habt ihr Ideen, wie ich das organisieren kann? Oder ist das auch einfach nur Erfahrung? Ich weiß, dass ich ihn nicht mehr "erziehen" kann, auch wenn ich es mir wünsche. Was kann also ich ändern?

Liebe Grüße
Träumerin
Sonnenkind
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#2

20.10.2020, 08:28

Hallo Träumerin,

das hört sich stark nach meinem Ex-Chef an. Und da sind dann die Angestellten nicht in der Probezeit "gegangen worden", weil sie dem Chef nicht gepasst haben, die haben nur frühzeitig reagiert und haben geschaut, dass sie so schnell wie möglich wieder dort weg kommen. Bei meinem Ex-Chef weiß ich nur, dass er seit 6 Jahren so arbeitet und sich nichts geändert hat. Feste Angestellte hat sich leider schon so weit herumgesprochen, dass niemand mehr dort hin geht. Er bekommt lediglich noch Azubis. Wenn dein Chef so ist, wie mein Ex-Chef, dann wirst du da nicht glücklich. Das kann ich dir jetzt schon sagen. Deine 2 x Besprechung in der Woche mit dem Chef wg. Fristen und Terminen bin ich mal gespannt, wie lange das anhält. Da kommen ihm mit Sicherheit ganz wichtigere andere Sachen dazwischen. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass das viel bringen wird.

Leider kann ich dir nichts positives sagen, nachdem ich exakt so etwas selbst erlebt habe und gesehen habe, dass sich absolut nichts ändert.
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#3

20.10.2020, 09:29

Ich bin inzwischen so weit, dass ich, wenn ich richtig Stress habe und was Wichtiges erledigen muss, bei dem ich mich konzentrieren muss, mal für eine Weile den Telefonhörer danebenlege. ;-)
mrsgoalkeeper
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#4

20.10.2020, 09:36

Ich kann Dir nur einen Rat geben: Lauf! So schnell Du kannst! Du wirst da nichts, aber auch gar nichts ändern können - ihn erst recht nicht.

BTW: Ich glaube nicht, dass die anderen gegangen worden sind, zumindest nicht die die qualifiziert waren. Die werden schnell das Weite gesucht haben.
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#5

22.10.2020, 16:02

Erinnert mich auch an einen Ex-Arbeitgeber, wo ich zwar "nur" etwas über Minijob-Niveau (wegen der Krankenversicherung, sonst wäre es nur exakt Minijob gewesen) gearbeitet habe, also nicht jeden Tag, aber mehr Teil- oder gar Vollzeit hätte ich dort nicht ausgehalten. Das ging auch nur 1 Jahr, dann wurde ich "gegangen", weil angeblich die Chemie nicht stimmte. Von wegen. Dass ich meine Arbeitszeit dokumentiert und Überstunden erfasst habe, hat ihm höchstwahrscheinlich vielmehr nicht gepasst. Das Gehalt kam auch nicht immer pünktlich, wurde öfter um Tage geschoben.

Er war auch ein Chaot vor dem Herrn und dazu noch Choleriker mit gelegentlichem Ausflippen.

Alte Aktenberge auf dem Fußboden - nicht bearbeitet/abgeschlossen/abgerechnet -, überquellende Leitz-Ordner in der Schrankwand (Modell Wohnzimmer Eiche-dunkel), wo Einzelblätter rum- und rausflogen. Ordnung reinbringen ging nicht, weil Schrank proppenvoll.

Ich habe mir irgendwann gesagt, das geht mich nix an, ich bin eh nur 10 Std./Woche da zum Diktate und Rechnungen schreiben und das wars. Mandanten hat er höchstpersönlich am Telefon regelrecht abserviert.

Fristen sind da nicht verlustig gegangen, weil er die regelmäß wg. "Überlastung" (haha) hat verlängern lassen. Die Gerichte haben mitgespielt.

Gott, was war ich froh über die Kündigung nach dem ersten Schock. Waren sauer verdiente paar Kröten, aber ich hatte zu der Zeit nix anderes.

Mein Rat: lauf, aber schnell. Da kriegst keine Ordnung und System rein. Der Chef will mit Sicherheit, dass alles so bleibt wie es ist. Hat er sich schließlich in Jahren so aufgebaut, also gewollt. Aber so können Fachkräfte wie wir nicht arbeiten. Soll er mal schön alleine weiterwuppen.

Die arme Azubi. Aber denk an Dich selbst und Deine Gesundheit, es macht sonst kein anderer für Dich.

Versuch es vielleicht gerne im ÖD, die nehmen eigentlich gerne mit Kusshand, jedenfalls in meiner Wohngegend in BaWü.
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Luckys
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#6

25.10.2020, 17:19

Hallo Täumerin,

das hört sich nach einem regelrechten Albtraum an!! Einer Kollegin von mir ist am Anfang ihrer Tätigkeit als RA Fachangestellte ähnliches leider auch schon widerfahren. Selbst nach mehrfachen Gesprächsversuchen mit dem Chef hat sich da absolut nichts und nada verändert. Entweder der Chef hatte auf einmal ganz wichtige andere Termine, zu denen er hin musste, er hatte ein überaus dringendes Telefonat, müsse gleich außer Haus und so weiter und so fort. Die paar Male, als sie ihn dann doch endlich zu fassen bekommen hatte, beliefen sich seine Aussagen (vor allem hinsichtlich seiner cholerischen und unordentlichen Anwandlungen) meist auf das folgende:

"Das ist alles Einbildung. Sie nehmen das alles ganz falsch wahr."

"Nehmen Sie sich nicht so. Das ist normal, so arbeitet man eben in einem Büro. Finden Sie sich damit ab und sein Sie nicht so kleinlich."

Als es dann zu "Verzettelungen" mit ihren Überstunden kam, habe ich ihr geraten, was ich dir auch raten würde. Pack deine Sachen zusammen und lass ihn selbst damit klarkommen, dass er nach und nach seine fähigen Mitarbeiter verliert!!

Alles Liebe

Luckys
Ernst ist das Leben, heiter die Kunst. Da aber das Leben auch eine Kunst ist, ist auch das Leben heiter. :wink1
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