Seine Meinung, daß das RVG ein Erfolg wurde, kann ich nach kritischer Betrachtung aus Sicht des angestellten Fachpersonals nicht teilen.
RA Kilger berücksichtigt meiner Meinung nach nicht die täglichen, praktischen Probleme und den Mehraufwand, alleine verursacht durch das RVG und allesamt nur vom Fachpersonal zu bewältigen - ohne daß die Anwaltschaft sie überhaupt mitbekommt, sondern sieht lediglich die teilweise Verbesserung der Einkommenssituation eines Teiles der Rechtsanwälte.
Kilger selbst nennt als Ausnahme hiervon die Familien-, Asyl- und Sozialrechtler.
Es drängt sich doch stark die Frage auf, weshalb das Ziel der Einkommensverbesserung durch Beibehaltung der BRAGO und einfacher Anpassung der Beträge der Gebührentabelle bzw. der Betragsrahmengebühren nicht hätte erreicht werden können.
Man hat im Vorfeld zum RVG vielerlei Gründe genannt, die zur Rechtfertigung der Notwendigkeit des RVG dienen sollten, allen voran jedoch den, daß das Gebührenrecht z. B. durch die Einführung eines Kostenkataloges auch für den Laien verständlicher gemacht werden sollte.
Den wahren Grund erfährt man jedoch leicht hier :
Pressemitteilung des Deutschen Anwaltvereins vom 28.08.2003
Durch die gesamte Pressemitteilung zieht es sich wie ein roter Faden - es ging ausschließlich um die (wohlgemerkt legitime !) Erhöhung der Rechtsanwaltsgebühren :
Daß die Anwaltschaft Einkommensverbesserungen seit 1994 verlangt, ist sehr gut nachzuvollziehen und findet mein vollstes Verständnis.Pressemitteilung des Deutschen Anwaltvereins vom 28.08.2003 hat geschrieben:Die Neuregelung sei notwendig, da die Anwaltschaft immer noch auf der Grundlage der seit dem 01.07.1994 unveränderten Gebühren arbeiten müsse. Die seit dem gestiegenen Kosten für Personal und Sachleistungen hätten zu einem erheblichen Rückgang anwaltlicher Erträge geführt. Keiner anderen Berufsgruppe mute man so viele Nullrunden zu. Vor diesem Hintergrund sei die nun vorgesehene jährliche Steigerung von 1,4 % für die Zeit seit 1994 sehr maßvoll.
Warum aber werden die klaren Vorteile der Beibehaltung der BRAGO verschwiegen ? Um nur einige beispielhaft zu nennen, wären dies :
- Die Einnahmesituation der Rechtsanwälte hätte durch die Anpassung der Gebührensätze erreicht werden können.
- Hunderttausende Rechtsanwaltsfachangestellte deutschlandweit hätten sich eine überflüssige, mühsame Einarbeitung und Umstellung ersparen können.
- Auf einige Monate absehbare, fehlerhafte Gebührenabrechnungen, verbunden mit den Haftungs- und Verlustrisiken für den Rechtsanwalt, wären vermieden worden.
- Der Büroalltag wäre nicht durch teilweise mehrere Stunden täglich dauernde Fallprüfungen aus dem Konzept gebracht worden.
Man kann also nur zu dem Ergebnis kommen, daß der Aufwand, der nun an uns, dem angestellten Fachpersonal hängen bleibt, billigend in Kauf genommen wurde.
Der DAV selbst nennt seine "für unverzichtbar angesehenen Punkte" in seiner DAV-Pressemitteilung Nr. 20/02 vom 27. Juni 2002. Bei näherer Betrachtung dieser "für unverzichtbar angesehenen Punkte" muß man sich zwangsläufig fragen, warum diese nicht in kürzester Zeit innerhalb der BRAGO zu realisieren gewesen sein sollten :
Hierzu mein vollstes Einverständnis - aber braucht es dafür ein neues Gesetz ?Wegfall des Gebührenabschlags Ost
13 Jahre nach der Wiedervereinigung sei es unakzeptabel, die Anwältinnen und Anwälte in den neuen Bundesländern weiterhin zu benachteiligen.
Was hinderte den RA daran, eine Honorarvereinbarung zu schließen, abgesehen davon, daß die Anwaltsgebühren für außergerichtliche Beratung niemals auf 200 € begrenzt waren, sondern die Kappungsgrenze von 180 € lediglich für eine Erstberatung galt ?Keine Begrenzung der Anwaltsgebühren für außergerichtliche Beratung auf 200 €
Wie erklärt sich vor dem Hintergrund der Regelung 2100 VV RVG die nach wie vor bestehende Kappungsgrenze, die erst zum 01.07.2006 fällt ? Was hier umgesetzt wurde, wäre wieder einmal leicht in die BRAGO zu integrieren gewesen..
Gem. § 21 BRAGO erhielt der RA eine "angemessene Gebühr" für die Erstellung eines Gutachtens; hierfür hatten sich 20/10 aus dem anzusetzenden Gegenstandswert "eingebürgert".Außergerichtliche Beratung kann umfangreich sein, etwa durch Erstellen eines Gutachtens.
Auch hier wäre im Bedarfsfall eine Gebührenvereinbarung vom RA anzustreben und im Regelfall wohl auch durchsetzbar gewesen - wiederum ist also keine Änderungsnotwendigkeit erkennbar.
Abgrenzungsschwierigkeiten gab es schon immer, und es wird sie auch trotz - oder gerade wegen - des RVG weiterhin geben.Keine unterschiedlichen Rahmengebühren für „normale“ und für „besonders umfangreiche“ und „besonders schwierige“ Verfahren
Hier komme es zu Abgrenzungsschwierigkeiten. Diese würden zu massiven Streitigkeiten führen. Im Übrigen stelle dies eine Verschlechterung zum heutigen Gebührenrecht dar.
Erreicht wurde hier durch das RVG also praktisch nichts, sieht man einmal davon ab, daß es nun massive Bemühungen der Rechtsschutzversicherer gibt, die die Anwälte nun unter fadenscheinigen Begründungen zu Geschäftsgebühren von 0,8 - 1,0 drängen wollen.
Die Änderung der Anrechnungsvorschrift dahin, daß nach RVG nunmehr eine Geschäftsgebühr nach 2400 bis 2403 VV RVG zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet wird, dürfte in Zeiten wirtschaftlich zunehmender Schwierigkeiten und steigender Zulassungszahlen die Gefahr der Einleitung vermeidbarer Gerichtsverfahren bergen.Honorare müssen sich an der tatsächlich erbrachten Leistung orientieren
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erhalten Honorare für die außergerichtliche Vertretung. Für die gerichtliche Vertretung fallen weitere Gebühren an. Der DAV lehnt es ab, die Vergütung für die außergerichtliche Anwaltstätigkeit weitgehend auf die Gebühren für die Prozessführung anzurechnen.
Die Argumentation ist klar, das Ansinnen nachvollziehbar und berechtigt; auch hier bleibt allerdings nur die einfache Frage, weshalb dies nicht hätte in die BRAGO aufgenommen werden können.Zuschlag für „Streitverkündung“
In vielen Prozessen wird Dritten, beispielsweise Architekten und Subunternehmern im Bauprozess, der Streit verkündet. Das heißt, sie werden in den Prozess auf Kläger- oder Beklagtenseiten einbezogen. Dies führt zu Mehrarbeit und erhöht das Haftungsrisiko der Anwälte. Dafür sollte ein Gebührenabschlag von 0,3 eingeführt werden. Die „Streitverkündung“ hilft auch, Folgeprozesse zu vermeiden.
Ich kann nach dem Vorstehenden nur resummieren, daß es zur Durchsetzung einer maßvollen Gebührenanpassung und der Anpassung mancher Punkte keines neuen Gesetzes bedurft hätte.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß eine starke Lobby von RVG-Befürwortern sich hier ohne Befragung derjenigen, die nun tagtäglich mit zahlreichen neuen und verwirrenden Vorschriften, Ausnahmen und Sonderregelungen zu kämpfen haben - nämlich uns Angestellten ! - durchgesetzt und uns dieses Gesetz sprichwörtlich aufs Auge gedrückt hat.
Es muß in aller Klarheit gesagt werden :
- Die Qualität der Berufsausbildung zur RA-Fachangestellten in deutschen Rechtsanwaltskanzleien ist zum Teil mehr als bescheiden.
- Nicht wenige Rechtsanwälte verlassen sich in Fragen der Gebührenabrechnungen weitestgehend auf ihr Fachpersonal.
- Der Großteil der Rechtsanwälte hat zum RVG geschwiegen und der Dinge geharrt, die da kamen.
- Die Hauptarbeit hat nun eben dieses Fachpersonal, da der RA (auch verständlicherweise !) faktisch keine Zeit hat, sich mit der tiefgehenden Materie "RVG" zu beschäftigen.
Wie soll bspw. Auszubildenden, die in der Praxis mitarbeiten und nicht nur mit Hilfsarbeiten wie dem Abhängen / Suchen von Akten und der Durchführung der Aktenablage beschäftigt werden, nun BRAGO und RVG kompetent vermittelt werden ?
Das RVG war ein völlig falscher und überflüssiger Schritt, ja sogar Marsch, den die Anwaltschaft und ihre Mitarbeiter nicht gebraucht hätten, wenn jemand den Mut gehabt hätte, offen zur Anpassungsnotwendigkeit der Honorare für anwaltliche Dienstleistungen zu stehen.
Daß die Kritiker nun langsam verstummen, hat nur einen einzigen Grund :
Man findet sich, wie in Deutschland üblich, mit einer weiteren Zumutung ab.
[hr]
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