Rechtfertigung der Erhöhung der Geschäftsgebühr

...für das vom 01.07.2004 bis 31.07.2013 geltende Gebührenrecht
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MaryK1984
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#1

01.03.2010, 21:59

Mehr als eine 1,3 Geschäftsgebühr kriegt man ja sehr selten bei Rechtsschutzversicherungen durch. Hätte hierzu gerne ein paar Praxistipps.

Nun habe ich zum Beispiel gehört, dass, wenn man Fachanwalt ist, eine 1,8 ansetzen kann. Quellen hierfür kann ich allerdings nicht finden.

Außerdem hat mir ein Anwalt erzählt, dass er die Erhöhung beispielsweise damit begründet,
- dass der Mandant schlecht deutsch spricht,
- oder dass zum Beispiel immer Familienangehörige mit dabei sind, um zu übersetzen,
- dass der Mandant einfach nur doof/dumm/deppert ist,
- dass der Mandant viermal am Tag anruft, halt ne Nervensäge ist.
Allerdings wird der Mandant wohl nicht mehr auftauchen, wenn wir seiner RSV schreiben, dass er höhere Gebühren verursacht, weil er anstrengend ist.

Wie begründet ihr welche Erhöhungen, habt ihr dafür Mustertexte? Welche RS-Versicherungen zahlen das?

Wie begründet ihr eigentlich die Wichtigkeit für den Mandanten? Ich finde hier die Ermessensausübung immer sehr kompliziert.

Ich weiß, dass es hierzu diverse Threads gab, finde aber mit der neuen Suchfunktion trotzdem nicht das, was ich suche. Hab auch schon die Rechtsprechung durchsucht, aber vielleicht benutze ich auch die falschen Suchbegriffe.
Falls mir jemand Links für Threads o. ä. mitteilen kann, vielen Dank!

Bin selbstvertändlich für jede Art von Anregung dankbar!!! :D
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nephele
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#2

02.03.2010, 10:47

Zum einen:
OLG Köln, 11.7.07, 2 Ws 332/07, RVG Prof. 1/08, S. 12:
Bei Rahmengebühren nach § 14 Abs. 2 S. 1 RVG wird die Höhe unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach billigem Ermessen bestimmt. Abweichungen bis zu 20% im Verhältnis zu den angemessenen Gebühren können als verbindlich angesehen werden.

Beispiel: 1,3 Gebühr + 20% = 1,56 Gebühr (=gerundet 1,6)

D.h. eine 1,6 Gebühr ist durchaus im billigen Ermessen und ist von der RS zu akzeptieren.

Zu deiner Fachanwalt-Frage:
Die Inanspruchnahme eines Fachanwaltes ist ein Indiz für die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit (AG Tempelhof-Kreuzberg, Urteil v. 26.6.07, 7 C 162/06, AGS 7/08, S. 235)

Zu deinem Fall wegen Verständigungsproblemen:
Vorgerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe einer 1,5 Gebühr sind angemessen, wenn aufgrund der Verständigungsprobleme der Sohn des Klägers immer wieder beigezpgen werden musste und die Kommunikation zwischen dem klägerischen Anwalt und der Mandantschaft sich aufgrund der Sprachprobleme als schwierig erwies (AG München 17.10.2007, 331 C 20975/07, RVGprof. 1/08, S. 6)

Hilft das schonmal weiter??
Meine Motivation ist heute morgen winkend an mir vorbeigegangen

Verrückt? Ich? nee...das hätten mir die Stimmen doch gesagt...

Da ist es ja hygienischer, wenn mir ein pestkranker Gibbon die Hände trocken niest.
Zitat Sheldon Cooper
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#3

02.03.2010, 12:14

Ein leidliches Thema. Nicht nur für Anwälte, sondern auch allzu oft für deren Mitarbeiter. Nämlich dann, wenn Rechtsanwälte der Meinung sind, sich überhaupt rein gar nicht mit Gebühren befassen zu müssen und die Abrechnung komplett ihren Mitarbeitern überlassen. In einem solchen Fall befinden sich die Anwälte m. E. auf dem Holzweg. Nicht, weil die Mitarbeiter zu doof oder zu faul sind, sondern weil sie ihren Chefs zumindest in dem Punkt, den Du hier ansprichst, nämlich die korrekte Bemessung einer Rahmengebühr anhand sämtlicher Kriterien des § 14 RVG, einfach nicht behilflich sein KÖNNEN. Der Mitarbeiter vermag noch den Umfang der Akte und die Anzahl der gefertigten Schriftsätze zu erkennen und vielleicht hat er auch noch (in kleinen Büros) einen Überblick darüber, wie oft der Mandant den Anwalt persönlich und telefonisch in Anspruch genommen hat (beides Kriterium „Umfang“). Aufmerksame Mitarbeiter können auch noch vage Angaben zu dem Kriterium „Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber“ machen. Aber richtig einschätzen kann die Bedeutung doch eigentlich nur der Anwalt selbst, der ja schließlich auch die Sache mit dem Mandanten besprochen hat. Auch kann der Mitarbeiter regelmäßig nichts dazu sagen, wie schwierig (Kriterium „Schwierigkeit“) die Bearbeitung der Sache für den Anwalt war oder wie lange der Anwalt sich hinter verschlossener Tür mit der Sache beschäftigen musste, um sich einzuarbeiten und die in der Akte befindlichen Schriftsätze zu diktieren (Kriterium „Umfang“).

Jede Angelegenheit ist anhand der Kriterien des § 14 RVG für sich allein zu beurteilen. Darum kann es auch – zumindest keine sehr hilfreichen – Mustertexte geben. Lässt die Beurteilung der Kriterien des § 14 den Ansatz der Mittelgebühr (1,5) oder einer darüber liegenden Gebühr zu (d.h. die Gebühr ist nicht unbillig, also verbindlich, siehe Beitrag von nephele) und ist die gesetzliche Voraussetzung erfüllt, dass die Tätigkeit durchschnittlich (nicht überdurchschnittlich) umfangreich ODER schwierig war, dann sollte die RSV eigentlich die geltend gemachte Gebühr zahlen, wenn denn der Gebührenansatz ordentlich begründet wird. Auch die unterlegene Behörde im Sozialrecht und die Staatskasse bei der Festsetzung gegen den Gegner oder im Wege der PKH (ebenfalls im Sozialrecht) tun sich dann leichter, die geltend gemachte Gebühr anzuerkennen. Dies setzt dann aber voraus, dass sich der Anwalt – zumindest hilfestellend – an der Abrechnung beteiligt. Dass Du die Ermessensausübung als schwierig empfindest, wenn Du sie allein ohne irgendeine Zusatzinformation vornehmen sollst, ist also nicht weiter verwunderlich. Willkommen im Club.

Zu Deiner Fachanwaltsfrage:
Quellen für eine 1,8-Gebühr gibt es vermutlich nicht. Die Inanspruchnahme eines Fachanwalts führt zu einer schnelleren Bearbeitung der Sache, und die Bearbeitung fällt dem Fachanwalt leichter. Das bedeutet: weniger Umfang und Schwierigkeit. Dies führt aber selbstverständlich nicht zu einer geringeren Gebühr. Vielmehr ist bei der Bemessung der Kriterien immer der „Durchschnittsanwalt“ zugrunde zu legen.

Die Dir von einem Anwalt genannten Gründe für eine Erhöhung sind zutreffend. Dies lässt sich der RSV gegenüber doch auch sanft formulieren, ohne dem Mandanten auf den Schlips zu treten. Nur ist die Mehrzahl der Mandanten deutschsprachig und weder besonders doof noch allzu nervig, so dass eine diesbezügliche Begründung für die meisten Fälle untauglich ist. Hier heißt es (auch für den Chef): Kreativ sein!

Dies alles hat Dir vermutlich nur insoweit weitergeholfen, als dass Du jetzt weißt, dass Dir zu dieser Frage von außen nicht besonders weitergeholfen werden kann.

Entschuldigt die langen Ausführungen.

Ein Leidensgenosse
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Elfeo
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#4

15.07.2011, 13:25

Bin da gerade über eine BGH-Entscheidung im neuen Anwaltsblatt (2011, S 567 ff.) gestolpert, die ich zwar inhaltlich, wie der Autor des Beitrages auch, für falsch halte, die aber nunmal in der Welt ist:

Beschluss v. 13.01.2011, IX ZR 110/10

Ich zitiere mal wörtlich aus dem Beitrag: "Die Erhöhung der 1,3 Regelgebühr auf eine 1,5 Gebühr ist nach den Ausführungen des BGH 'einer gerichtlichen Überprüfung entzogen'. Hierzu hat der der Senat auf die Toleranzgrenze von 20 Prozent verwiesen ... Die Toleranzgrenze von 20 Prozent, die der BGH hier angewandt hat, ist - ausgehend von einer 1,3 Geschäftsgebühr - erst bei Berechnung einer 1,57 Geschäftsgebühr überschritten. Es spricht also nichts dagegen, in Fällen jedenfalls durchschnittlicher Art eine 1,55 Geschäftsgebühr zu berechnen."

Der Autor ist RiLG Hansens in Berlin, quasi der hiesige Kostenrechtspapst
Arbeite seit fünf Jahren sehr zufrieden mit der Ol§Ro - Freeware.
tapsangel

#5

15.07.2011, 19:48

Die Entscheidung hat mir mein Chef auch direkt gezeigt :wink:
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