Abfindung in der Insolvenz

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maka2
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#1

21.08.2018, 10:37

Hallo,

wir haben mal wieder eine Specialsache:
Wir vertreten den Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer, der gekündigt wurde, hat ein Privatinsolvenzverfahren laufen.
Zusätzlich wurde zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer ein Darlehensvertrag geschlossen, der monatlich zurückbezahlt wurde. Der Vertrag wurde nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen. Ich weiß jetzt nur nicht, ob die Rückzahlungen vor Überweisung bzw. Ausrechnung des (Netto-)Gehalts bezahlt wurden oder nach der verbleibenden und dem Schuldner zur Verfügung stehenden monatlichen Summe.
Dass eine Abfindungszahlung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses i.d.R. ins Insolvenzverfahren bzw. die Insolvenzmasse fällt, ist uns klar.
Was uns aber nicht klar ist:
Der Vertrag wurde ja nach Eröffnung geschlossen. Hätte der Arbeitgeber so ein Darlehen überhaupt gewähren dürfen? Und wenn jetzt statt einer Abfindung die restliche Darlehenssumme erlassen wird, wie wirkt sich das auf das Insolvenzverfahren aus? Kann es sein, dass der Arbeitgeber hier doch noch was an den Insolvenzverwalter überweisen muss? Und muss dieses Vergleich vor dem Arbeitsgericht nicht eigentlich sowieso vom Insolvenzverwalter genehmigt werden?
Oder kann uns das egal sein? Auf den Arbeitgeber kommt nichts weiter zu, wenn der Schuldner sich nicht darum kümmer??

Da das so viele Fragen sind...und wir uns nur oberflächlich mit Insolvenz auskennen....wäre es toll, wenn uns hier einen Profi Antwort geben könnte! Sehr gerne mit Paragraphen

:thx
Vielen Dank.

:wink1 maka2
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mücki
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#2

22.08.2018, 09:57

Eine Frage beantwortest du dir teilweise schon selbst: Da die Abfindung im Zweifelsfall der Insolvenzmasse zusteht, könnt ihr diese natürlich auch nicht mit der noch offenen Darlehensforderung verrechnen. Weiterhin könnt ihr nicht schuldbefreiend an den Insolvenzschuldner leisten.

Was den Abschluss des Darlehens angeht: Der Schuldner darf während des Insolvenzverfahrens/der Wohlverhaltensphase keine neuen Verbindlichkeiten begründen. Für ihn könnte der Abschluss des Darlehensvertrages - abhängig davon, von welchem Betrag wir reden und für was dieser benötigt wurde - ggf. zur Versagung der Restschuldbefreiung führen, wenn durch einen Gläubiger einer festgestellten Tabellenforderung ein entsprechender Antrag gestellt wird. Der Darlehensgeber hat im Prinzip keine Konsequenzen zu fürchten, so er denn überhaupt von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Kenntnis hatte (ist ja sein Problem, wenn er einem offiziell zahlungsunfähigem einen Kredit gewährt).

Allerdings ist mit der Reform der InsO die Privilegierung der Arbeitgeber in solchen Fällen weggefallen. Früher konnten Arbeitgeber vom Nettolohn für zwei Jahre nach Eröffnung zunächst die vereinbarten Raten abziehen und dann vom Rest das pfändbare Einkommen berechnen und ggf. an den InsVw weiterleiten. JETZT existiert dieses Privileg nicht mehr. Der Schuldner hätte also die Darlehensraten lediglich aus seinem unpfändbarem Lohnanteil begleichen dürfen. Hier müsst ihr nachprüfen, weil ihr euch sonst ggf. schadenersatzpflichtig macht.

Ob der Darlehensgeber auf die Erfüllung seiner Forderungen besteht oder dem Darlehensnehmer die bestehende Restforderung erlässt, ist allein seine Entscheidung.

Der Rechtsstreit dürfte mit Eröffnung des Insolvenzverfahren unterbrochen sein (§ 240 ZPO). Das führt dazu, dass der Vergleich unwirksam ist (§ 249 ZPO).
Zuletzt geändert von mücki am 23.08.2018, 11:31, insgesamt 1-mal geändert.
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#3

22.08.2018, 10:11

:thx
Super!
Vielen lieben Dank für die ausführliche Antwort!!!! :dankeschoen
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Kanzleihund
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#4

22.08.2018, 10:52

Die Antwort ist nicht ganz richtig, aber eben auch nicht ganz falsch.

Die Abfindung steht erst einmal der Insolvenzmasse zu. Abfindungen werden aber nicht dafür gezahlt, den Insolvenzverwalter zu füttern oder alte Verbindlichkeiten zu berichtigen. Sie sollen die Einbußen, die durch den Arbeitsplatzverlust entstehen, abfedern. Deshalb wird ein richtig beratener Insolvenzschuldner wird deshalb einen Antrag nach § 850 i ZPO stellen. Damit kann er verhindern, dass die gesamte Abfindung in die Insolvenzmasse fällt. Wenn das Geld ihm aber zur freien Verfügung steht, dann kann er damit auch Restschulden bei seinem Arbeitgeber bezahlen.

Mal von der taktischen Seite gefragt: Warum hat der Arbeitnehmer nicht einfach auf die Abfindung verzichtet und der Arbeitgeber ihm im Gegenzug dazu seine "Schulden" erlassen? Auf die Zahlung der Abfindung hat der Arbeitnehmer doch keinen gesetzlichen Anspruch?

Weiterhin ist es ein weitverbreiteter Mythos, dass ein Schuldner im insolvenzverfahren keine neuen Verbindlichkeiten begründen darf. Außer der Tatsache, dass diese ihm nicht erlassen werden, hat das keinerlei negative Konsequenzen. Die Restschuldbefreiung wird ihm nicht versagt. Auch nicht auf entsprechenden Antrag.

Hinsichtlich des Rechtsstreits ist zu unterscheiden. War dieser bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens anhängig, dann könnte man über den § 240 ZPO nachdenken. Wobei unklar ist, was mit einer Kündigungsschutzklage (persönliches Recht des Schuldners) zu passieren hat. Ist der Rechtsstreit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anhängig gemacht worden, dann findet § 240 ZPO keine Anwendung. Der Rechtsstreit wird ohne Einschränkungen geführt. Ich meine auch nicht, dass der Insolvenzverwalter einem Vergleich zustimmen muss. Denn er kann über die Arbeitskraft des Schuldners nicht verfügen. Er ist nur Empfänger der pfändbaren Lohnbestandteile etc. [Welchen Arbeitsvertrag der Schuldner eingeht, ist allein seine Sache. Mal unabhängig von seinen Erwerbsobliegenheiten, kann er diesen auch beenden und hierfür die Konditionen bestimmen. ]
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mücki
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#5

22.08.2018, 11:50

@kanzleihund:

Besagt nicht § 290 Abs. 4 InsO genau das? Dort heisst es doch: "... der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch beeinträchtigt hat, daß er unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet ... hat"?

Was den Antrag nach 850 i ZPO angeht, hast du Recht aber da das ohne Antrag des Schuldners eben nicht geht und hier offensichtlich die Gläubigerseite vertreten wird, habe ich den aussen vor gelassen.

Bezüglich § 240 ZPO: Da dieser keine Einschränkungen bezüglich der Art der Rechtsstreitgkeiten enthält, gehe ich eigentlich davon aus, dass dieser in jedem Fall greift, wenn ein Verfahren vor Insolvenzeröffnung bereits anhängig war, lasse mich aber gern eines Besseren belehren.
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#6

22.08.2018, 14:56

Ebend! § 290 Abs. 4 InsO sagt, dass die Befriedigung der Schuldner beeinträchtigt sein muss und dass die es sich um unangemessene Verbindlichkeiten handeln muss. Da steht eben nicht, dass er keinerlei Schulden machen darf.

Eine Kreditaufnahme, bei der die Ratenzahlungen nach Eröffnung aus dem unpfändbaren Vermögen des Schuldners erfolgen, beeinträchtigt die Gläubiger in der Regel deshalb nicht, weil diese sich ohne Einschränkungen an das ihnen zustehende Haftungsvermögen halten können. Der Schuldner kann mit seinem unpfändbaren Einkommen machen, was er lustig ist. Er darf lt. Bundesgerichtshof damit sogar Altschulden tilgen. Gleiches dürfte gelten, wenn der Schuldner das Einkommen versäuft, einen Neukredit bezahlt oder ... Darüber hinaus ist nicht jede Aufnahme eines Kredits unangemessen. Mir fallen jetzt auf Anhieb keine Bespiele ein, wo dies der Fall ist. Lt. Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung sind Verbindlichkeiten dann unangemessen, wenn sie bar jeder wirtschaftlicher Vernunft und aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen eingegangen werden.

Die Einschränkung des § 240 ZPO ist systemimmanent. Die Vorschrift soll den Insolvenzverwalter und die Insolvenzmasse davor schützen, kurzfristig in laufende Rechtsstreit hineingezogen zu werden. Wenn der Rechtsstreit die Insolvenzmasse gar nicht tangiert, z.B. weil es sich um höchstpersönliche Rechte des Schuldners handelt, ist der Schutz auch nicht erforderlich. Darüber hinaus weis man doch gar nicht, wann der Rechtsstreit vorliegend anhängig wurde. Scheinbar hat der Schuldner doch auch nach Insolvenzeröffnung noch bei dem Arbeitgeber gearbeitet ...
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#7

23.08.2018, 11:30

@kanzleihund:

Bzgl. § 240 ZPO: Du hast recht, habe den Text jetzt noch dreimal gelesen. Aufgrund der Schilderung bzw. deiner "Aufklärung" muss ich meine obige Aussage revidieren. Ich hatte den Text zuerst (leider mehrfach) so verstanden, dass der Rechtsstreit schon vor IE anhängig war. Auch hinsichtlich der weiteren Ausführungen (bzgl. Schutz der Insolvenzmasse), hast du recht aber ich konnte keine "Ausnahmeregelung" finden und bin daher erstmal davon ausgegangen, dass § 240 greifen würde, weil ja bei arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten erster Instanz jeder seine Kosten selbst trägt.

Zu den unangemessenen Verbindlichkeiten: Ich hatte eingangs geschrieben "abhängig davon, von welchem Betrag wir reden und für was dieser benötigt wurde" sowie "Der Schuldner hätte also die Darlehensraten lediglich aus seinem unpfändbarem Lohnanteil begleichen dürfen. Hier müsst ihr nachprüfen...", weil nach den Schilderungen vom TE ja scheinbar nicht so wirklich klar ist, wie hier die Raten vom Lohn abgezogen wurden, sodass vorliegend eine Gläubigerbenachteiligung durchaus im Raum stehen könnte.

Unangemessene Verbindlichkeiten wären für mich (ob das die Gericht genauso sehen würden, kann ich nicht sagen) z.B. der Kauf eines Autos, obwohl eine sehr gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr besteht oder der Kauf eines "Luxusfernsehers mit Dolby-Surround" obwohl es ein einfacher auch getan hätte :oops:
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