Zur prozessualen Behandlung einer auf erstinstanzlichen Vortrag gestützten Klage-erweiterung in der Berufungsinstanz hat jetzt der Bundesgerichtshof Stellung genommen: Soweit die Erhöhung des Klagebetrages nach § 264 Nr. 2 ZPO nicht als Änderung der Klage anzusehen ist, liegt kein Fall des § 263 ZPO vor. Nur auf diese Vorschrift bezieht sich § 533 ZPO, der die Zulässigkeit einer Klageänderung in der Berufungsinstanz einschränkt1. Die unbeschränkte Zulässigkeit einer Modifizierung des Klageantrags gemäß § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO auch in der Berufungsinstanz entspricht dem Zweck der Vorschrift, der die prozessökonomische und endgültige Erledigung des Rechtsstreits zwischen den Parteien fördern will. Demgegenüber verkehrt das Berufungsgericht den Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit in sein Gegenteil, indem es den Kläger auf die Möglichkeit einer neuen Klage verweist. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Leitentscheidung eingehend dargelegt, dass auch der Sinn und Zweck des § 533 ZPO dessen Anwendung auf § 264 ZPO im Berufungsverfahren nicht fordert2. Der Bundesgerichtshof teilt diese Auffassung. Mit dem zulässigen Rechtsmittel der Berufung gelangt grundsätzlich der gesamte aus den Akten ersichtliche Sachvortrag erster Instanz ohne weiteres in die Berufungsinstanz. Das gilt auch für solches Vorbringen, das vom Gericht erster Instanz für unerheblich gehalten worden ist und im Tatbestand keine ausdrückliche Erwähnung gefunden hat3. Für das in der Berufungsinstanz zusätzlich geltend gemachte Zahlungsbegehren gibt es keinen neuen Sachvortrag des Klägers, der nicht bereits in der Klageschrift enthalten und dort in Bezug auf die mit der Klage vorgelegten Anlagen erläutert ist. Gehaltener Sachvortrag einer Partei kann niemals versäumt sein (vgl. § 531 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Auf seine Entscheidungserheblichkeit aus der Sicht des Vorderrichters kann es ebenso wenig ankommen wie auf die Einbindung des Vortrags in die Begründung des Anspruchs. Ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel ist nicht “neu”, weil es sich zu einem in der ersten Instanz unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunkt verhält oder erst in zweiter Instanz beweisbedürftig geworden ist. Rechtlich bedeutungslos ist es deshalb auch, dass der Kläger es in der Hand hatte, der von ihm in erster Instanz dargelegten neuen Berechnungsmethode durch eine Erhöhung der Klageforderung aus seiner Sicht Entscheidungserheblichkeit beizulegen. Wäre dies anders, würde die Entscheidung des Gesetzgebers konterkariert, Klageerweiterungen und -umstellungen gemäß § 264 Nr. 2 und 3 ZPO nicht an die besonderen Voraussetzungen des § 533 ZPO zu knüpfen. Für ech-te Klageänderungen verhindert § 533 Nr. 2 ZPO, dass ein Berufungsgericht eine Klageänderung gemäß § 533 Nr. 1 ZPO zwar zulassen müsste, an einer der materiellen Rechtslage entsprechenden Entscheidung über die geänderte Klage aber nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gehindert wäre. Diese Gefahr besteht bei einer Antragsänderung gemäß § 264 Nr. 2 und 3 ZPO nur dann nicht, wenn das Berufungsgericht bei der Beurteilung des modifizierten Klageantrags zumindest auf den gesamten in erster Instanz angefallenen Prozessstoff zurückgreifen kann4. Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. April 2010 – IX ZR 160/09BGHZ 158, 295, 305 f; BGH, Urt. v. 8. Dezember 2005 – VII ZR 138/04, VersR 2006, 1361, 1362 f Rn. 25; v. 27. Februar 2007 – XI ZR 56/06, ZIP 2007, 718, 721 Rn. 30↩BGHZ 158, 295, 307↩BGH, Urteil vom 27.09.2006 – VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414, 2416; vom 16.10.2008 – IX ZR 183/06, WM 2009, 117, 120↩vgl. BGHZ 158, 295, 308↩ - See more at:
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