Ich habe mich nach 3 Jahren aus der Kanzlei wegbeworben - in eine Rechtsabteilung eines deutschlandweit tätigen Unternehmens. Das war Zufall und ich dachte: warum eigentlich nicht?
Meine Arbeit dort hat sich doch sehr von der typischen Kanzleiarbeit unterschieden, auch, weil die dortigen Anwälte zuvor in keiner Kanzlei tätig waren und Kanzleigewohnheiten einfach nicht vorhanden waren (ich musste mich z.B. für einen Fristenkalender stark machen und es gab für einzelne Vorgänge auch keine Az - was mir doch sehr zu schaffen machte).
Die Rechtsgebiete waren überwiegend Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht sowie das komplette Forderungsmanagement. Ich habe extrem viel gelernt (hatte keine Kollegen), vor allem die wirtschaftlichen Aspekte sind in einem Unternehmen doch meist anders ausgeprägt als im RA-Büro, allerdings habe ich nach 4 Jahren das Kanzleifeeling so vermisst, dass ich wieder in eine Kanzlei zurückgegangen bin. Du musst bedenken, dass du in einer Rechtsabteilung keinen Kontakt zu Mandanten hast, da ausschließlich eigene Firmeninteressen vertreten werden und auch Gebührenabrechnungen werden nicht erstellt, da ja keine Anwaltsgebühren anfallen. Man berät und vertritt ja quasi den eigenen Arbeitgeber. Du bekommst also Änderungen im RVG nur schwer bzw. gar nicht mit und auch sonst habe ich mich von Gesetzesänderungen etwas "außen vor" gefühlt. Eine weitere Erfahrung im Unternehmen war, dass die verschiedenen Abteilungen untereinander nicht immer gut Hand in Hand arbeiten, denn der "Oberchef" will natürlich auch Ergebnisse der einzelnen Abteilungen sehen, schlechte Stimmung gibt es aber auch in Kanzleien, so dass das keine Besonderheit ist. Sämtliche Bereiche (z.B. Finanzbuchhaltung, Personalbuchhaltung, Controlling, Marketing, laufender Betrieb) sind in eigenen Abteilungen mit eigenen Vorgesetzten angesiedelt und in der Rechtsabteilung musst du die Bedenken und Interessen aller Abteilungen irgendwie unter einen Hut bringen. Man erhält dadurch einen unglaublich großen Überblick/"Rundumblick" - den ich wahrscheinlich nie in einer Kanzlei erfahren hätte und der mir bereits tolle Jobs eingebracht hat.
Du solltest auch bedenken, dass es wahrscheinlich etwas schwieriger sein wird, später irgendwann in einer Kanzlei anzufangen, wenn du über noch keine praktische "Kanzleiberufserfahrung" verfügst, außer dem, was du in der Ausbildung gelernt hast.
Fazit: Heute (in einer weiteren neuen Kanzlei) profitiere ich unheimlich davon, dass ich über Berufserfahrung im Kanzleibereich verfüge - aber die Erfahrungen in der Rechtsabteilung sind für meinen jetzigen Job mind. genauso wichtig und ich würde so einen "Abstecher" in die Wirtschaft immer wieder machen. Das Zurückkehren in die Kanzlei hat mich in der Bewerbungsphase allerdings einige Überwindung gekostet, da ich zu BRAGO-Zeiten gegangen bin und mit dem RVG wieder einsteigen wollte - aber es ist erstaunlich, ob so oder so - man lernt alles!
Ich wünsche dir viel Erfolg beim Bewerben und im neuen Büro - wo auch immer es sein wird!
PS: Sorry für den langen Text, aber kürzer ging es nicht
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