Wieder und wieder – Mythen um den Wiedereinsetzungsantrag

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Fristversäumnisse, das sind die richtig giftigen Missgeschicke in der Kanzlei. Das bedeutet verärgerte Mandanten und ein vielleicht heraufziehendes Regressgewitter, inklusive einzuschaltender Haftpflichtversicherung.  Ist so unangenehm wie es klingt. Aber da gibt es ja noch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO). Mit denen scheitern Anwälte vor Gericht aber häufig. Warum ist das so? Weil es ein paar Mythen rund um den Antrag gibt, die sich hartnäckig halten. Wir fassen ein paar davon zusammen.

Nach § 233 ZPO ist einer Partei auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden eine Notfrist oder die in der Vorschrift genannten Begründungsfristen versäumt hat. Dass die Rechtsprechung von Entscheidungen nur so wimmelt, mit denen Wiedereinsetzungsanträge zurückgewiesen werden, hat einen simplen Grund: Sie sind bzw. waren einfach nicht schlüssig genug begründet.

Mythos 1: Ein paar Zeilen genügen

Ein Büroversehen, Mitarbeiter haben die Fristen übersehen, Anwalt war krank – ein paar Zeilen mit rudimentären Angaben in einem Antrag auf Wiedereinsetzung genügen nicht. Dabei verlangt das Gericht gar nicht viel: Es braucht einfach aussagekräftige Angaben, mit denen der Anwalt schlüssig und glaubhaft macht, dass er alles ihm Mögliche getan hat, damit es in seinem Büro nicht zu Säumnissen kommt. Zum Beispiel, indem er mit einer Arbeitsanweisung unmissverständlich geregelt hat, wie mit Fristen umzugehen ist (Notieren, eintragen, löschen, Akte vorlegen usw.) und wer genau das in der Kanzlei darf und wer nicht. Diese Anweisung hat dann auch jeder Kanzleimitarbeiter ausgehändigt bekommen und den Erhalt schriftlich bestätigt. Sind Mitarbeiter für eine versäumte Frist verantwortlich, muss der Anwalt darlegen, wie qualifiziert sie waren, dass sie als ausgebildete Fachkraft in der Vergangenheit stets korrekt mit Fristen umgegangen sind und auch eine grundsätzliche Fristenüberwachung durch den Anwalt gewährleistet war und ist. Ferner muss er darlegen, wie es genau zum Fristversäumnis gekommen ist, also die entscheidenden Arbeitsabläufe in der Kanzlei am besagten Arbeitstag schildern. Das muss nicht zwingend zu einem ausufernden mehrseitigen Sachvortrag führen, allerdings müssen die entscheidenden Angaben auch konkret und so ausführlich sein, dass das Gericht beurteilen kann, ob nun ein Anwalts-  oder ein Mitarbeiterverschulden vorliegt. Oder anders: In der (präzisen) Kürze liegt die Würze.

Hinweis

Muster und Hinweise, wie Sie einen Wiedereinsetzungsantrag verfassen, finden Sie natürlich auch in der ReNoSmart-Bibliothek, und zwar in den Basisformularen für die Anwaltskanzlei und im Handbuch für Rechtsanwaltsfachangestellte.

Mythos 2: Jetzt aber fax – der „OK-Vermerk“ genügt doch!

Rechtsmittel per Telefax, aber verspätet: Zahlreiche Gerichtsentscheidungen drehen sich nur um die Frage, in welchen Fallkonstellationen dann eine Wiedereinsetzung zulässig ist. Waren die Zeiteinstellungen in beteiligten Faxgeräten korrekt? War die angezeigte Zahl der übertragenen Seiten richtig? Hat der Anwalt die Übermittlung rechtzeitig gestartet? Sie sehen schon, das Gericht darf sich mit jeder Menge Einzelheiten beschäftigen. Aber klar ist auch: Mit einem „OK-Vermerk“ auf dem Sendebericht ist eben nicht alles in Butter.

Denn mit ihm allein kann nicht nachgewiesen werden, dass der Schriftsatz dem Gericht zugegangen ist. Sendebericht und Vermerk belegen nämlich nur, dass eine Verbindung zustandegekommen ist, nicht jedoch die erfolgreiche Übermittlung der Signale an das Empfangsgerät (zuletzt u.a. OVG Hamburg, Beschl. v. 20.08.2018, 4 Bf 59/16.Z).

Der BGH sagt aber auch anwaltsfreundlich: Wird eine Frist wegen einer verzögerten Fax-Übermittlung versäumt, kann es dem Anwalt nicht als Verschulden zugerechnet werden, wenn er funktionsfähiges Faxgerät ordnungsgemäß genutzt, die Empfängernummer korrekt eingegeben und alles getan hat, damit die Frist gewahrt ist, und auch so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen hat, dass er damit rechnen konnte, dass sie bis 24.00 Uhr erledigt ist (BGH, Beschl. v. 12.04.2016, VI ZB 7/15). Der Anwalt muss eben rechtzeitig mit der Faxsendung beginnen und auch einen zeitlichen Puffer einplanen. Und zwar ohne ein Vabanquespiel zu beginnen, wenn der Minutenzeiger bereits kurz vor Mitternacht anzeigt.

Mythos 3: Arbeitsanweisung? nicht so wichtig

Die Arbeitsanweisung war oben schon unter 1 angesprochen. Wichtig ist sie deshalb, weil der Anwalt sie vollständig zum Gegenstand seiner Antragsbegründung machen kann. Er kann mit ihr nicht nur seine Kanzleiorganisation nachweisen, sondern auch die exakten Vorgaben, wie das Fristenmanagement dauerhaft darin eingebettet ist und für welche Kontrollmechanismen er Sorge trägt. So kann der Anwalt zum Beispiel in der Anweisung die (vom BGH als zwingend festgelegte) Vorschrift einbetten, dass Fristen ausnahmslos zuerst im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Handakte eingetragen wird (BGH, Beschl. v. 12.06.2018, II ZB 23/17). Allein damit kann er gegenüber dem Gericht leicht darlegen, dass kein Anwaltsverschulden vorliegt und damit eine Wiedereinsetzung zu gewähren ist.

Mythos 4: Ist doch einfach, der Anwalt kann doch an die ReNos delegieren

Ja, das darf er schon und kann Fristen von einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft berechnen und notieren lassen (BGH, Beschl. 23.01.2013, XII ZB 167/11). Und schon kommen die Ausnahmen: Geht es um Rechtsmittelbegründungsfristen, muss der Anwalt die notierte Frist stets eigenverantwortlich prüfen, wenn ihm die Handakten wegen einer fristgebundenen Prozesshandlung bzw. Bearbeitung vorgelegt werden. Überprüft er dann die Fristen, darf er sich jedoch grundsätzlich darauf beschränkten, den Erledigungsvermerk in der Handakte zu prüfen. Kommen ihm dabei keine Zweifel, dass hier irgendetwas schiefgelaufen sein könnte, braucht er auch nicht noch einmal zu überprüfen, ob das Fristende tatsächlich auch im Fristenkalender notiert ist. Denn sonst wäre die zulässige Fristenüberwachung durch qualifizierte Kanzleimitarbeiter überflüssig, wenn der Anwalt nachträglich nun doch alles eigenverantwortlich kontrollieren muss.

Hinweis

In der aktuellen Fristentabelle, die ebenfalls in der ReNoSmart-Bibliothek steckt, können Sie sämtliche Fristen nachschlagen, die Ihnen im Kanzleialltag begegnen und korrekte Fristläufe berechnen.

Mythos 5: Schnell in den Briefkasten damit!

Richtig, aber schnell heißt nicht, dass Sie ständig überlegen müssen, wie rechtzeitig nun der Briefkasten gefüttert werden muss. Hier sieht die Rechtsprechung klarer aus, als man vielleicht zunächst vermutet. Grundsätzlich darf man auf die normale Postlaufzeit vertrauen, sofern nicht gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen, also beispielsweise die Post streikt oder die Leerungszeiten des Briefkastens verändert wurden. Füttern Sie den Briefkasten an einem Werktag rechtzeitig mit Post (Tagesleerungszeiten), dürfen Sie sich darauf verlassen, dass diese am folgenden Werktag den Empfänger erreicht. In solchen Fällen müssen sich Anwälte oder Kanzleimitarbeiter auch nicht zusätzlich beim Empfänger erkundigen, ob der Schriftsatz auch eingetroffen ist.