„Viele Kanzleimitarbeiter halten den Druck nicht mehr aus“

0
1281

Kanzleien in Deutschland leiden bereits seit längerem unter dem Fachkräftemangel: Die Zahl der Ausbildungsverträge, die im Berufsbild ReNo abgeschlossen werden, sinkt seit Jahren. Hinzu kommt, dass viele ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen. Das belegen auch Untersuchungen des Soldan Instituts. Um so wichtiger ist es, als Arbeitgeber für die Mitarbeiter attraktiv zu sein, weiß Ronja Tietje, Vorstandsmitglied im RENO Bundesverband. Auf dem diesjährigen Deutschen Rechtsfachwirttag, der am 9. und 10. September 2021 als Digitalkonferenz stattfindet, spricht die geprüfte Rechtsfachwirtin / Notarfachwirtin und Beraterin für Anwalts- und Notarkanzleien, darüber, welche große Bedeutung die Mitarbeitermotivation in der Personalführung einnimmt.

Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels wird es immer wichtiger, gute Mitarbeiter zu halten. Haben Kanzleien gegenüber anderen Unternehmen hier Nachholbedarf?

Ronja Tietje: Aus meiner Sicht trifft das zu. Auf der Kanzleiführungsebene befinden sich exzellent ausgebildete Juristen. Mitarbeiterführung haben sie hingegen nicht gelernt. Im Vergleich zu vielen Unternehmen haben sie sich oftmals auch wenig mit den Anforderungen an den verschiedenen Arbeitsplätzen in der Kanzlei auseinandergesetzt. Wen brauche ich für welche Aufgabe in der Kanzlei? Eine gut ausgebildete ReFa wird sich zum Beispiel nicht wohl fühlen, wenn sie nur am Empfang sitzt und den ganzen Tag überwiegend Telefonate annimmt und daneben keine fachliche Tätigkeit ausübt.

Gut ausgebildete Kanzleifachkräfte sind auch in anderen Bereichen sehr gefragt. Welche Wettbewerber müssen denn Kanzleien in dem „War for Talents“ am meisten fürchten?

Ronja Tietje: Viele ReNos oder ReFas wechseln in Rechtsabteilungen von Unternehmen oder in die öffentliche Verwaltung – häufig, weil sie den Druck in der Kanzlei nicht mehr ertragen. Dieser Druck entsteht vor allem dadurch, dass immer mehr Arbeit auf immer weniger Schultern verteilt wird.

Welche Rolle spielt das Gehalt bei den Wechselwilligen?

Ronja Tietje: Das Gehalt spielt nicht mehr die herausragende Rolle, wenn es um die Arbeitszufriedenheit geht. Das liegt auch daran, dass viele Kanzleien hier gezwungen waren, nachzubessern, um überhaupt Fachangestellte zu finden. Dafür rückt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die „work-life-balance“ in den Vordergrund. Viele Fachangestellte wünschen sich zum Beispiel einen freien Tag oder zumindest freien Nachmittag in der Woche, um sich um die Familie zu kümmern oder auch um ihr Hobby zu pflegen. Aber es geht nicht nur um mehr Freizeit, sondern auch um Weiterbildungsangebote.

Wie sehen denn die Weiterbildungsangebote für die Kanzleimitarbeiter aus?

Ronja Tietje: Wir haben den geprüften Rechtsfachwirt, der zwar einem Bachelor gleichgestellt ist, aber viel sperriger klingt. Für den Notarbereich gibt es bislang kein bundesweit anerkanntes Weiterbildungsangebot. Ich bin der Meinung, dass wir die Möglichkeiten, die uns das Berufsbildungsgesetz eröffnet, besser nutzen sollten und schnellstmöglich eine Fortbildung nach den neuen Bezeichnungen (§ 53a BBiG) anbieten sollten.

Was können Arbeitgeber neben Gehalt und Urlaub noch unternehmen, damit sich die Mitarbeiter wohl fühlen?

Ronja Tietje: Ich empfehle immer wieder, die ReNos und ReFas stärker in die Kanzleistrategie einzubinden: Welche Mandanten wollen wir haben? Wie können wir Mandate besser bearbeiten? Welche Ziele haben wir? Wenn die Ziele erreicht wurden, können die Mitarbeiter dann auch mit einem Bonus für ihr Engagement belohnt werden.

Welche Rolle spielt die Möglichkeit, im Homeoffice arbeiten zu können, für die Arbeitszufriedenheit?

Ronja Tietje: Hatten Kanzleimitarbeiter zuvor kaum die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, so hat sich das mit Corona grundlegend geändert. Ich habe aus den Kanzleien sehr  viele positive Rückmeldungen erhalten, wie gut am Ende alles funktioniert hat. Um so erstaunlicher finde ich es daher, dass viele Arbeitgeber sofort wieder Präsenz verlangt haben, als es möglich wurde. Zum Teil haben sie die Wünsche ihrer Mitarbeiter nach einem Homeoffice-Tag in der Woche abgeschmettert, obwohl sie gute Erfahrungen in der Pandemie damit gemacht haben. Das verstehe ich nicht, gilt es doch die eigenen Mitarbeiter zu motivieren um sie dauerhaft in der Kanzlei zu halten!

Ronja Tietje ist gepr. Rechtsfachwirtin und Notarfachwirtin
und als Beraterin für Anwalts- und Notarkanzleien
(Tietje & Schrader oHG) in Achim tätig. Zudem hat sie sich
als Dozentin, Fachbuchautorin und durch zahlreiche
ehrenamtliche Tätigkeiten, z.B. im RENO Bundesverband,
einen Namen gemacht.