Literaturtipp: Wer die Goldkehlchen stört

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In diesem Jahr ist Norwegen das Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Grund genug sich einmal mit der aktuellen Literatur des Landes zu befassen. Dabei ist mir der Autor Levi Henriksen aufgefallen, der in Norwegen auch als Musiker und Journalist sehr bekannt ist. Sein Debütroman „Wer die Goldkehlchen stört“ wurde in Norwegen zum Lieblingsbuch des Jahres gewählt. Sehr zu Recht, denn mit diesem Roman bekommt man eine äußerst vergnügliche Lektüre in die Hand.

Der Osloer Jazzmusikproduzent Jim Gystad kehrt für eine Taufe in sein Heimatdorf Kongsvinger zurück, tief im norwegischen Nirgendwo. Beim Gottesdienst in der Kirche hört er den mehrstimmigen Gesang der Geschwister Maria, Timoteus und Tamar (Tulla) Thorsen, die die „Toten aus den Gräbern“ singen können. Er erfährt, dass die drei schon sehr betagten Geschwister (Ü 80) Mitglieder der örtlichen Pfingstgemeinde sind und in ihrer Jugend mehrere Platten mit christlichen Gesängen veröffentlichten und auch durch Amerika tourten, wodurch sie eine gewisse Berühmtheit erlangten.

In einem Schallplattenladen im Dorf entdeckt Jim Aufnahmen der Thorsens. Der verschrobene Besitzer des Ladens erzählt ihm zudem einiges über die Musikkarriere der Geschwister. Jim kauft die Aufnahmen und ist gleich von der Musik wie elektrisiert. Er ist gefrustet von seinem Leben in Oslo und der immer gleichen Arbeit. Wie alle Musikproduzenten träumt auch er davon, einmal über einen besonderen Künstler zu stolpern, der das gewisse Etwas hat. Und in den drei alten Leuten sieht Jim genau das. Er mietet ein Holzhaus im Dorf, arbeitet stundenweise als Elektriker und  macht er sich auf, das Geschwister-Trio kennenzulernen und ihr Vertrauen zu gewinnen.

Leichter gedacht, als getan, denn vor allem der älteste Bruder Timoteus begegnet ihm mit großem Widerwillen. Aber mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen nähert er sich zuerst der einen Schwester Tulla an, und dann gewinnt er auch Maria für sich, allerdings nicht ohne in den einen oder anderen großen Fettnapf zu stolpern. Selbst die harte Nuss Timoteus kann er schließlich knacken, wobei er an den Rand der Selbsterniedrigung gebracht wird. Jim macht einige Probeaufnahmen der Geschwister und vermittelt ihnen sogar einen Auftritt im örtlichen Golfclub, der in einem furiosen Erfolg mündet.

Bis es zu diesem Höhepunkt kommt, unterhält uns der Autor Levi Henriksen mit wunderbar schrulligen Charakteren und skurril-witziger Situationskomik. Es ist überaus erheiternd, mit welchen Tricks sich Jim als Außenstehender das Vertrauen der Dorfbewohner und der Geschwister Thorsen erarbeitet. Man verfällt jedoch auch Norwegen, denn der Autor schafft es immer wieder, sehr ruhige, fast poetische Momente bei der Beschreibung der Landschaft einzuknüpfen.

Das Ende des Buches lässt mich als Leser dann schließlich auch sehr melancholisch zurück. Es kommt nicht wie es kommen soll und Jim, der gefrustete Großstadtmensch, sieht plötzlich klar und deutlich, dass nicht allein das strikte verfolgen eines Ziels wichtig ist: “Maria, Tiomoteus und Tamar hatten mich gelehrt, dass man manchmal aufhören muss zu suchen, um den Weg nach Hause zu finden.“

Mein Fazit: ein rundum kurzweiliges Buch, das den schmalen Grat zwischen Komik und Ernst wundervoll meistert. Allerdings frage ich mich fortwährend, welcher Teufel den Verlag geritten hat, einen solchen plumpen Titel (hat nun wirklich gar nichts mit „Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee zu tun!!) und ein solches grauenhaftes Cover zu wählen. Bitte nicht davon abschrecken lassen!

Levi Henriksen, Wer die Goldkehlchen stört

btb, kartoniert, 352 Seiten, 10,00 EUR, 978-3-442-71680-7
btb, E-Book (EPUB), 9,99 EUR, 978-3-641-17053-0