Literaturtipp: Neuschweinstein

0
1220

Selfies, Sissi, Souvenirs

Bücherschränke sind eine tolle Sache. Man kann einige recht interessante Entdeckungen machen. Eine meiner davon ist „Neuschweinstein“ von Christoph Rehage.  Natürlich sprach mich der Titel sofort an. Die Kurzbeschreibung ließ mich das Buch einpacken, um es bei nächster Gelegenheit zu lesen. Eine außerordentlich kurzweilige Lektüre, wie sich schon nach wenigen Seiten herausstellte.

Wer kennt sie nicht, die chinesischen Reisegruppen, die touristische Ziele in Europa im Schnelldurchgang bereisen. In Rothenburg o. d. T. sah ich zum ersten Mal einen Chinesen, der im Laufschritt fotografierte, die Fotos quasi aus der Hüfe heraus schoss. Damals wie heute ein faszinierender Anblick. Wir Einheimischen fragen uns, was diese Touristen überhaupt von unserem Land sehen, wenn sie alle Sehenswürdigkeiten im Eiltempo abgrasen.

Genau diese Frage stellte sich auch der  Autor Christoph Rehage.  Er kam daher auf die verwegene Idee,  sich 2015 einer chinesischen Reisegruppe anzuschließen, um aus ihrer Perspektive Europa zu betrachten und auch ihre Eindrücke und Gedanken zu erkunden. Er reiste also nach Peking und buchte dort in einem Reisebüro eine Europareise: 5 Länder und 13 Orte in 14 Tagen.

Seine Mitreisenden, zwölf Chinesen und ein slowenischer Busfahrer, begegneten diesem merkwürdigen Europäer natürlich anfangs äußerst misstrauisch.  Seine offene Art und die Tatsache, dass er fließend Mandarin sprach, führten aber dazu, dass er vollständig in die kleine Gruppe aufgenommen wurde. Was dann folgt, ist ein witziger Reisebericht aus ungewöhnlicher Perspektive.

Der Reisetrupp besuchte München, Neuschwanstein, eine ungenannte deutsche Kleinstadt, Venedig, Padua, Imola, Florenz, Pisa, Rom, Luzern, eine ungenannte französische Kleinstadt, Paris und Frankfurt.  Der Autor beschreibt sehr humorvoll die Eigenarten seiner chinesischen Mitreisenden und die manchmal skurrilen Begegnungen mit den Einheimischen. Er bleibt dabei aber immer respektvoll. Er macht sich nicht lustig über sie, dazu wachsen sie ihm mit der Zeit viel zu sehr ans Herz.

Als Leser bekommt man aber auch oft genug den Spiegel vorgehalten. Man ist verblüfft darüber, dass die chinesische Reiseleitung ausdrücklich und mehrfach vor Überfällen und Taschendieben in Deutschland warnte. Man erfährt, dass die Chinesen Lakritz äußerst ekelhaft fanden und lieber übers Internet ihre Reiseandenken kauften. Und ziemlich gelassen die organisierten Verkaufsveranstaltungen „hochwertiger“ regionaler Produkte und das ziemlich schlechte (chinesische!) Essen hinnahmen.

Zusammengefasst: das Buch ist äußerst unterhaltsam, ziemlich witzig und manchmal sehr verblüffend. Ein Lesevergnügen für jeden und ein perfektes Geschenk für Vielreisende.


Christoph Rehage, Neuschweinstein.
Mit zwölf Chinesen durch Europa

Piper Taschenbuch, 978-3-492-31310-0, 10,00 €
eBook, 978-3-492-97546-9, 9,99 €