Forrest Gump auf Isländisch

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Ein Autor aus der Schweiz, der nach Island auswandert und einen Roman schreibt. Aus dieser interessanten Kombination geht das äußerst unterhaltsame Buch „Kalmann“ von Joachim B. Schmidt hervor.

Schauplatz ist der Ort Raufarhöfn, ein 173-Seelen-Dorf im äußersten Nordwesten Islands, 2 km vom Polarkreis entfernt. Das Dorf ist etwas heruntergekommen, seitdem keine Fischfangflotten mehr den Fang anlanden und verarbeiten, aber die verbliebenen Bewohner richten sich ihr Leben in der kargen und abgelegenen Umgebung ein.

Unser Titelheld und Ich-Erzähler des Romans, Kalmann, ist 33 Jahre alt und geistig zurückgeblieben. Er ist der selbsternannte Sheriff von Raufarhöfn, denn er läuft stets in seiner „Ausrüstung“ umher: Cowboyhut, Sheriffstern und Revolver. Kalmanns Mutter hätte ihn am liebsten in ein Heim für geistig Behinderte gegeben. Aber der Großvater nimmt ihn unter seine Fittiche und bringt ihm alles bei, was er zum Leben und Überleben in dem kleinen Dorf benötigt. So wird aus Kalmann ein hervorragender Jäger und Produzent von exzellentem Gammelhai – einer „Köstlichkeit“, die auch nur Isländer lieben können.

Die Handlung ist relativ schnell erzählt: auf der Fuchsjagd stößt Kalmann auf eine große Blutlache im Schnee. Diese ist so groß, dass sie eindeutig nur von einem Menschen stammen kann. Und tatsächlich wird Robert McKenzie vermisst, der „König“ von Raufarhöfn, der reichste Mann im Ort, Immobilien- und Hotelbesitzer. Bei den polizeilichen Ermittlungen kommt heraus: das Blut stammt eindeutig von Robert und die Blutmenge lässt nur den Schluss zu, dass Robert tot ist.

Plötzlich ist nichts mehr so wie es war und vor allem Kalmann steht unvermittelt im Zentrum des Interesses. Wilde Gerüchte gehen durch das Dorf und alle wollen aus Kalmann Informationen herausbekommen. Kein leichtes Unterfangen, auch nicht für die Polizei, denn Kalmann möchte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Die allseitige Aufmerksamkeit ist deutlich zu viel für den jungen Mann, der üblicherweise in seiner eigenen kleinen und überschaubaren Welt lebt, aber er war leider mehrfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Dann überschlagen sich die Ereignisse und der Roman nimmt eine überraschende und hochspannende Wende.

Dieses Buch macht einfach Spaß. Den wunderlichen Helden gewinnt man sehr schnell lieb und man taucht verständnisvoll in seine Welt. Sehr witzig finde ich das Interview, das Kalmann einem Kamerateam gibt. Seine einsilbigen Antworten und seine wunderliche Art treiben die Presseleute in den Wahnsinn.

Die schrulligen Dorfbewohner sind so, wie man sich Menschen in einem abgelegenen Seelendorf in Island vorstellt. Der Autor trifft die Figuren sehr genau, sie sind sehr lebendig geschildert und er macht sich nicht über sie lustig. Vielmehr ist da immer ein Augenzwinkern im Hintergrund. Als Leser spürt man die Liebe zu seiner Wahlheimat.

Das Fazit: ein äußerst unterhaltsames Buch mit viel Witz und am Ende einer guten Portion unerwarteter Spannung.


Joachim B. Schmidt, Kalmann
Diogenes Verlag, 2020

Buchausgabe 978-3-257-07138-2, 22,00 €
E-Book 978-3-257-61136-6, 18,99 €
Hörbuch 978-3-257-80420-1, 24,00 €