Eine Frage der Chemie

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Bild Chemie

Auf den guten Geschmack meiner Kolleginnen und Kollegen kann ich mich offensichtlich verlassen. Das Buch, das 2022 von den Unabhängigen Buchhandlungen zu ihrem Lieblingsbuch gewählt wurde, amüsierte, fesselte und bewegte mich gleichermaßen: Eine Frage der Chemie von Bonnie Garmus.

Die eigentliche Hauptperson des Romans erscheint auf den ersten Blick eher langweilig. Elizabeth Zott, eine junge amerikanische Wissenschaftlerin, die sich ganz und gar der Chemie verschrieben hat. Elizabeth strebt eine wissenschaftliche Karriere in der Forschung an einer Universität an. Aber es ist das Jahr 1961 und es wird von Frauen erwartet hübsch auszusehen, zu heiraten, den Männern ein wohliges Heim zu schaffen, zu Hause zu bleiben und Kinder zu bekommen. Elizabeth passt nur ganz und gar nicht in dieses Bild und will auch den üblichen Klischees nicht entsprechen. Sie ist hochintelligent, eine begabte Forscherin und leider auch noch gutaussehend. Leider deshalb, weil intelligente Frauen allein es schon schwer haben, sind sie aber auch noch ausgesprochen gutaussehend, sinken ihre Chancen gegen Null sich in einer von Männern dominierten Wissenschaft, die von Neid, Täuschung, Ehrgeiz und Konkurrenzdenken geprägt ist, zu behaupten. Sie geht mit Selbstbewusstsein, Energie und guten Absichten an die Arbeit, wird aber eher für niedere Arbeiten eingeteilt. Ihre männlichen Kollegen merken sehr bald, dass Elizabeth um Längen talentierter ist als sie selbst und schrecken nicht davor zurück, ihre Forschungsergebnisse und Ideen zu stehlen. Sie erlebt genauso einen sexuellen Übergriff eines Vorgesetzten.

Das alles hält sie aber nicht davon ab weiter ihren Weg zu gehen. Sie muss dabei immer um das blanke finanzielle Überleben kämpfen. Dann geschieht das schier Unmögliche: Elizabeth trifft den brillianten Wissenschaftler Calvin Evans, der sich unsterblich in sie verliebt. Er liebt sie um ihrer selbst, wegen ihres scharfsinnigen Verstandes. Bei Elizabeth zündet die Liebe nicht sofort, aber schließlich muss sie sich eingestehen, dass Calvin die Liebe ihres Lebens ist. Heiraten will sie ihn trotzdem nicht, aber sie ziehen zusammen in ein Haus. In den 60er Jahren für die bürgerliche Gesellschaft ein Skandal. Calvin und Elizabeth sorgen mit ihrem Auftreten als Paar auch an der Universität für Neid und Klatsch. Für die Kollegen ist es ein Unding, dass eine Frau selbstbestimmt als Wissenschaftlerin arbeitet, gut aussieht und dann noch einen Mann abkommt. Und schlimmer noch: glücklich ist! Und Calvin, in allen Augen der absolute Nerd, findet eine Frau und lebt offen sein Glück.

Dieses Glück hält aber nicht lange an, denn Calvin kommt bei einem Unfall zu Tode. Elizabeth ist am Boden zerstört und muss sich mühsam in den Alltag zurückkämpfen. Dann stellt sie fest, sie ist schwanger. Ein Glück und Unglück zugleich. Glück, weil ihr etwas von Calvin bleibt, Unglück, weil sie nun auch noch alleinerziehende Mutter ohne jeglichen finanziellen Halt ist. Es kommt ihr eine Nachbarin zu Hilfe und beide werden über die Zeit Freundinnen, die durch Dick und Dünn gehen. Elizabeth Tochter Madeline ist wie die Mutter, hochintelligent, ihrem Alter weit voraus und vor allem anders als „normale“ Kinder. Elizabeth fördert mit unkonventionellen Mitteln die Interessen und Begabungen ihrer Tochter, was unweigerlich zu Konflikten in der Schule mit den Mitschülern, aber auch der Klassenlehrerin führt.

Das Leben birgt permanent Stolpersteine und die Geldprobleme drücken. Und wieder kommt Elizabeth der Zufall zu Hilfe und sie landet durch einen Vater von Madelines Mitschülerin in einer Fernseh-Kochshow. Elizabeth wäre aber nicht sie selbst, wenn sie den üblichen Rahmen der damaligen Kochshows nicht sprengen und neue Maßstäbe setzen würde. Ihre tägliche Sendung wird der Renner, denn sie vermittelt den Zuschauerinnen nicht nur Rezepte, sondern auch Hintergrundwissen über Nahrungsbestandteile, Vitamine u. ä. Für sie ist alles Chemie und dementsprechend kann Kochen auch wissenschaftlich erklärt werden. Und sie macht ihren Zuschauerinnen klar, dass sie mehr sind als kleine Hausfrauchen. Die Versuche der Produktionsfirma, die Sendung einzustellen, scheitert an der begeisterten weiblichen Fangemeinde.

Am Ende des Buches löst sich noch das Rätsel um die Herkunft und Kindheit ihres verstorbenen Mannes Calvin. Und endlich wendet sich für Elizabeth alles zum Guten.

Dieser Roman hat mich von der ersten Seite mitgerissen. Die Autorin Bonnie Garmus hat mit ihrer Protagonistin Elizabeth eine umwerfende Figur entworfen. Hochintelligent, zielstrebig, immer geradeheraus, aber auch oft genug naiv in ihrer Einschätzung und dem Verstehen des menschlichen Verhaltens. Die Kombination führt oft genug zu unglaublich witzigen Situationen. Und Elizabeths direkte und selbstbewusste Art ringt mir als Leserin Respekt ab. Manchmal schnappt man nach Luft, manchmal prustet man vor Lachen los. Ein einfach witziges und unterhaltsames Buch, stellenweise aber auch anrührend und tragisch. Mit ihrem Erstlingsroman „Eine Frage der Chemie“ hat Bonnie Garmus einen wirklich rundum gelungenen Roman abgeliefert.

Bonnie Garmus, Eine Frage der Chemie
Piper VerlagGebunden, 978-3-492-07109-3, 22,00 €
EBook, 978-3-492-60152-8, 17,99
Hörbuch, 978-3-86952-538-9, 22,00 €