HILFE! - Stempel auf Titeln und Haftbefehlen

Hier können alle Themen rund um die Zwangsvollstreckung besprochen werden. ZV mit Auslandsbezug bitte in die entsprechende Extra-Rubrik posten.
Antworten
Inkasso-Tante
Forenfachkraft
Beiträge: 122
Registriert: 25.11.2013, 10:43
Beruf: RA-Fachangestellte
Software: Phantasy (DATEV)

#1

21.04.2017, 09:40

Liebe Gerichtsvollzieher in diesem Forum,

ich brauche mal speziell eure Hilfe, weil ihr da wohlmöglich besser bzw. früher informiert seid.

Wenn sich sonst jemand auskennt, freue ich mich natürlich auch über Hilfe von Nicht-Gerichtsvollziehern.

Wir haben eine Sache, in der uns der zuständige Gerichtsvollzieher bisher jeden unserer ZV-Aufträge erst einmal postwendend mit den haarsträubendsten Begründungen zurückgeschickt und erst nach seitenlangen Erläuterungen und erneuter Aufforderung zum Tätigwerden unseren anfänglichen ZV-Auftrag ausgeführt hat. Daher bin ich mir etwas unschlüssig, ob ich sein neuestes Schreiben ernst nehmen soll oder ob er in der Angelegenheit einfach eine grundsätzliche Arbeitsverweigerungshaltung an den Tag legt.

Wir haben aus den Titeln (Prozessvergleich und zugehörigem Kostenfestsetzungsbeschluss) bereits mehrfach vollstreckt, also beispielsweise einen PfÜB beantragt und auch ein Mal die Vermögensauskunft.
Bisher war das überhaupt kein Problem.
Da der Geschäftsführer der schuldnerischen GmbH die Abgabe der Vermögensauskunft allerdings verweigert hat, wurde zuletzt unter Beifügung des Haftbefehls in Ausfertigung und beglaubigter Abschrift ein Verhaftungsauftrag gestellt.

Nun zitiert der zuständige Gerichtsvollzieher in seinem neuesten Schreiben eine Entscheidung des BGH vom 14.12.2016, Az.: V ZB 88/16, wonach drucktechnisch erzeugte Gerichtssiegel nicht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 317 Abs. 4 i.V.m. 725 ZPO zur Herstellung von (vollstreckbaren) Ausfertigungen entsprächen. Hierbei müsse es sich zwingend um ein Prägesiegel oder um einen Farbdruckstempel handeln.

Die beiden Titel sind jeweils vom Gericht in der linken oberen Ecke geknickt, zusammen getackert und auf der Rückseite mit Farbdruckstempeln gestempelt worden.
Lediglich die Haftbefehle, die wir so vom Gericht erhalten haben, haben jeweils ein drucktechnisch erzeugtes Gerichtssiegel.

Bei der Suche nach dem zitierten Urteil habe ich die folgende Zusammenfassung gefunden: "Ein lediglich drucktechnisch erzeugtes Behördensiegel genügt den im Grundbuchverfahren geltenden Formanforderungen des § 29 Abs. 3 GBO für ein Behördenersuchen nicht. Erforderlich ist vielmehr eine individuelle Siegelung mit einem Prägesiegel oder einem Farbdruckstempel."

Ich frage mich schon, ob die Entscheidung auf unseren Fall überhaupt anwendbar ist.

Ein gestriges Telefonat mit dem Gerichtsvollzieher brachte die Auskunft, dass der Stempel nun zwingend auf der Seite mit der Vollstreckungsklausel angebracht sein müsse, nicht -wie bei uns- auf der Rückseite, denn das würde nun nach der oben zitierten Entscheidung nicht mehr genügen. Auch das drucktechnisch erzeugte Gerichtssiegel auf den Haftbefehlen würde den neuen Anforderungen nach der oben genannten Entscheidung nicht mehr genügen.

Die Entscheidung sei ganz neu, so dass daher noch kein anderer Gerichtsvollzieher uns darauf aufmerksam gemacht habe. Er selbst wisse es erst seit einer guten Woche und dürfe nun nicht mehr aus Titeln vollstrecken, die den neuen Formerfordernissen nicht genügen.

Müssen wir jetzt ernsthaft damit rechnen, dass wir alle Titel und alle Haftbefehle (wir haben hier noch etliche Altfälle seit 2010!) postwendend von den Gerichtsvollziehern zurückgesendet bekommen und bei den zuständigen Gerichten das "richtige" Abstempeln der Titel und Haftbefehle beantragen müssen, weil wir sonst nicht weiter vollstrecken können?
Oder hat dieser spezielle Gerichtsvollzieher vielleicht etwas falsch verstanden?
GV Freudenstein
Forenfachkraft
Beiträge: 108
Registriert: 16.04.2014, 22:50
Beruf: Gerichtsvollzieher

#2

21.04.2017, 20:22

Der BGH hat zwar über grundbuchrechtliche Erfordernisse entschieden, hierbei aber die Voraussetzungen zur Wirksamkeit der Vollstreckungsklausel im Zwangsvollstreckungsverfahren anhand der bestehenden Rechtsprechung festgelegt und diese dann auf das grundbuchrechtliche Verfahren übertragen. Dadurch ist in der Tat die Entscheidung des BGH dahingehend auszulegen, dass eine Vollstreckung aus einem mit drucktechnisch aufgebrachten Siegel versehenen Titel nicht zulässig ist. Hiervon ausgenommen sind die Vollstreckungsbescheide, da in § 703b ZPO eine Ausnahme geregelt ist. In der BGH-Entscheidung heißt es im wesentlichen:

(...) Dass es für ein formwirksames Ersuchen einer Behörde in Sinne des § 29 Abs. 3 GBO neben der Unterschrift der individuellen „Beidrückung“ eines Siegels oder Stempels bedarf, stimmt mit der Auslegung des eine vergleichbare Regelung enthaltenen § 725 ZPO überein.
(a) Nach dieser Bestimmung ist die Vollstreckungsklausel der Ausfertigung des Urteils am Schluss beizufügen, von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen. Insoweit entspricht es nahezu allgemeiner Auffassung, dass die Verwendung eines Formulars mit einem bereits vorgedruckten bzw. nur eingedruckten Dienstsiegel diesen Formanforderungen nicht genügt (vgl. LG Aurich, Rpfleger 1988, 198, 199; LG Hildesheim, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 T 109/04, juris Rn. 3; AG Pankow-Weißensee, Rpfleger 2008, 586; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 725 Rn. 3; MüKoZPO/Wolfsteiner, 5. Aufl., § 725 Rn. 3; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 725 Rn. 8; Wieczorek/Schütze/Paulus, ZPO, 4. Aufl., § 725 Rn. 31; BeckOK ZPO/Ulrici, 21. Edition, § 725 Rn. 15; PG/Kroppenberg, ZPO, 8. Aufl., § 725 Rn. 1; Baumbach/Hartmann, ZPO, 74. Aufl., § 725 Rn. 4).
(b) Der Einwand der Beteiligten zu 1, diese Rechtsprechung bzw. Literatur sei im streitgegenständlichen Zusammenhang nicht einschlägig, weil es sich bei ihren Ersuchen nicht um „vorgedruckte Formulare“ handele, das Dienstsiegel sei vielmehr programmgesteuert zeitgleich mit der Erklärung auf dem Dokument angebracht worden, trägt nicht. Auch ein solches Siegel genügt den Anforderungen des § 725 ZPO nicht. (...)
(c) Eine unterschiedliche Interpretation des „Versehens mit einem Dienstsiegel“ i.S.d. § 725 ZPO einerseits und i.S.d. § 29 Abs. 3 GBO andererseits ist nicht gerechtfertigt. In beiden Fällen soll die Siegelung - zusammen mit der Unterschrift - eine gesteigerte Gewähr für die Echtheit des Dokuments bieten, weil der Gesetzgeber den von den Normen geschützten Rechtsgütern eine besondere Bedeutung beimisst. Ohne eine gemäß §§ 724, 725 ZPO erteilte vollstreckbare Ausfertigung darf ein Vollstreckungsorgan grundsätzlich keine Vollstreckungsmaßnahme durchführen. (...)
Dr. House
Foren-Azubi(ene)
Beiträge: 77
Registriert: 18.02.2016, 18:40
Beruf: Gerichtsvollzieher a.D.

#3

21.04.2017, 20:36

Es sollen aber wohl nur Vollstreckungsklauseln aus Bayern betroffen sein. Das dortige Landesrecht wurde somit vom BGH einkassiert. Bundesweit werden aber die Krankenkassen mit eingedruckten Stempel auf den vollstreckbaren Beitragsbescheiden ebenfalls umdenken müssen.
Antworten