Okay, also hier reicht das Schnellantwortfeld vermutlich nicht für die Antwort
Zwergnase, zuallererst mal, ich finde, Ihr bräuchtet definitiv einen fähigen externen Kanzleiberater.
In eurer Kanzlei müssen sämtliche Arbeitsabläufe grundlegend auf den Prüfstand. Die "Organisation" eurer Kanzlei hat sich scheinbar mit der Größe der Kanzlei nicht mitentwickelt bzw. hat sich wohl einfach so entwickelt, ohne je ernsthaft hinterfragt zu werden. Das ist aber hier dringend nötig.
Wenn hier im Forum also auch gute Ansätze zu Verbesserungen kommen, so kann das m. M. n. nicht einen Berater vor Ort ersetzen. Ich versuche aber mal, meine Fragen und Anregungen in Worte zu fassen.
1. Ich schließe mich der Frage an:
Was bedeutet, daß Akten 2x täglich durchnummeriert werden müssen? Davon höre ich zum ersten Mal in meinen doch jetzt 17 Jahren in Anwaltskanzleien, davon 10 als BV.
Was bedeutet, daß Akten "eingetragen" werden müssen? Wo? Warum? Welchem Zweck soll das dienen, wenn doch eh "Akten einfach nicht gefunden werden"?
2. Was die Organisation angeht:
Ihr habt schon mal etwas Gutes, und das sind Dezernate. Bin ich ausgesprochener Fan von.
Wenn ich das richtig verstanden habe:
5 Anwälte, 3 Dezernate a 2 Mann (wenn ich Mann sage, meine ich auch Frau
). Das Notariat klammere ich bewußt aus - damit kenne ich mich rein gar nicht aus, weder organisatorisch noch fachlich. Das tut aber im Ergebnis organisatorisch jetzt erst mal nix zur Sache.
Grundlegende organisatorische Mängel eurer Kanzlei, die mir sofort ins Auge fallen, sind:
- Abarbeitung des Posteingangs (Stempeln etc.) durch einen einzigen Mitarbeiter. Wozu gibt es Dezernate?
- Weiterreichen der Eingangspost von Anwalt zu Anwalt.
Diese beiden Punkte ließen sich m.M.n. viel besser so gestalten:
Die Eingangspost wird sofort morgens aufgeteilt. Jedes Dezernat erhält die Post "seiner" Anwälte, stempelt sie, trägt Fristen und Termine ein und tut, was sonst so damit zu tun ist. Ergebnis: Massive Zeitersparnis, da drei Mitarbeiter sich die Arbeit teilen; bessere Entscheidungskompetenz, da der stempelnde Mitarbeiter "seine" Akten kennt.
Dann Alternative 1:
- Dezernat zieht die Post, die es definitiv selbst bearbeiten kann, sofort raus, ohne daß RA sie überhaupt zu Gesicht bekommt.
Alternative 2:
- Alle Post geht anschließend entweder zum entsprechenden RA oder es findet eine gemeinsame Postbesprechung der Anwälte statt, wo die Eingangspost besprochen und ausgezeichnet wird.
Auszeichnen bspw. durch RA wie folgt. Es werden Anweisungen für die weitere Bearbeitung draufgeschrieben:
Pt = Durchschrift an Partei, zdA
Pt Rspr = Durchschrift an Partei mit der Bitte um Rücksprache
Pt/SB = Durchschrift an Partei, WV an RA
zdA = einfach abheften (WV nicht vergessen)
BV = weitere Bearbeitung durch Bürovorsteher
ZV = Zwangsvollstreckung durchführen
So ausgezeichnet, könnte die Post nun effektiv den Akten zugeordnet und direkt dem richtigen Bearbeiter übergeben werden.
Weitere Fragen, die ich jetzt einfach mal so anhand des Ausgangsbeitrages aufwerfen darf:
- Warum tragen Azubis morgens für irgendwelche Akten Wiedervorlagen ein? Warum tut dies nicht der letzte Bearbeiter der Akte anhand dessen, was zuletzt geschehen ist? Auf wessen Weisung, nach wessen Entscheidung, wird welche Wiedervorlage eingetragen? Woher weiß der Azubi, welche WV (Dauer, Grund) einzutragen ist? Wie wird dem Azubi das mitgeteilt? Oder entscheidet Azubi das etwa selbst?
- Wie werden die Akten der verschiedenen RAe auseinandergehalten - andersfarbige Aktendeckel, andersfarbige Aktenschilder, getrennte Aktenkästen oder gar nicht? Alles gemischt in den Aktenkästen? (Gute Nacht )
- Weshalb werden Wiedervorlagen dem Posteingang des Tages vorgezogen? Eine gut organisierte Kanzlei bearbeitet ein Schreiben im Optimalfall innerhalb 24 Stunden. Der Mandant muß zeitnah informiert sein, um Entscheidungen treffen zu können. Wer entscheidet, ob Eiliges im Posteingang ist, das bevorzugt behandelt werden muß? Wie wird in diesen Fällen vorgegangen?
- Wie hoch ist die Zahl der täglich eingehenden: Briefpost - Gerichtspost - Faxe - Mails (wie werden letztere behandelt?)
- Warum werden, wenn eh kaum Zeit für irgendwas ist, noch liebevoll Schildchen getippt? Warum nicht gleich noch die gute alte Buchstabenschablone der technischen Zeichner von anno dazumal, um in Normschrift zu kritzeln ?
- Werden Fristakten auf den letzten Drücker rausgesucht, sprich bspw. morgens die Fristen für den Tag? Warum so knapp? Da muß Vorlaufzeit drin sein, wenigstens ein Tag! Fristzettel drucken - auf die Akte - nach Sachbearbeiter sortiert - bis um 17.00 Uhr hat jeder RA seine Fristakten für den Tag vom Fristakten-Sammelplatz wegzunehmen, zu sichten - zu bearbeiten bis Fristtag 12.00 Uhr - Deadline - Ende! Die Kanzlei darf sich nicht selbst in Zeitnot bringen.
Weitere Anregung:
Denkt über ein zentrales Schreibbüro nach. ReFas, die den Sekretariatsbetrieb machen müssen, sind ineffektive Schreibkräfte, weil sie durch zig andere Tätigkeiten immer wieder aus dem Schreiben rausgerissen und darin unterbrochen werden. Ein zentrales Schreibbüro mit 2 - 3 ReFas empfiehlt sich in einem separaten, ruhigen Büro, damit dort konzentriert gearbeitet werden kann. Ebenfalls mal drüber nachdenken.
Zusammenfassung:
Geht ergebnisoffen an die Reorganisation. Ihr braucht einen Radikalschnitt, der sitzen muß. 1x und fertig. Jeder muß mitziehen, es darf da niemanden geben, der "Besitzstände" wahren will. Wer das will, arbeitet im Eigeninteresse gegen die Kanzlei und muß entweder aus Überzeugung umdenken oder gehen. Und mit gehen meine ich wirklich gehen. Raus. Kündigen. Gekündigt werden. Ob ReNo, ReFA, BV, egal! Muß sich eine andere, altbackene Kanzlei suchen. Holt euch jemanden, der den Prozess über Monate begleiten kann und die Sache von außen sieht, der aber volle Unterstützung und freie Hand der Kanzleileitung braucht.
Eure Anwälte müssen ein paar Dinge verstehen, wenn nicht schon angekommen:
- Wer Geld verdienen will, muß Geld ausgeben.
- Wer Wachstum nicht mitnimmt, wird schrumpfen.
- Es muß eine ausreichende Personaldecke geben, um Spitzen abzufangen.
- Der eigene Qualitätsanspruch muß dem des Mandanten entsprechen und erfüllt werden.
- Es darf kein Stein unumgedreht bleiben, um zu bestehen und einen gut funktionierenden Kanzleibetrieb zu erreichen.
Ich bin auf eine aussagekräftige Antwort gespannt!
Hier schließe ich mich im Übrigen der Frage an:
Jupp03/11 hat geschrieben:Mich würde interessieren, was der Bürovorsteher den ganzen Tag macht.
Letzte Frage:
Wissen deine Chefs, daß du auch dieses Forum zu Rate ziehst? Was halten sie davon?