Heute: 18 Uhr Fragestunde

Hier können alle Themen rund um die Zwangsvollstreckung besprochen werden. ZV mit Auslandsbezug bitte in die entsprechende Extra-Rubrik posten.
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Soenny
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#1

04.03.2014, 05:31

Hier findet ab 18 Uhr die Fragestunde zum Thema:

Berechnung pfändbarer Bezüge nach der Nettomethode


statt :wink1
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An die Person, die meine Schuhe versteckt hat, während ich auf der Hüpfburg war: Werd' erwachsen! :motz
Ernie

#2

04.03.2014, 17:47

Ich bin schon etwas früher anwesend, da ich Euch eine Einführung mitgebracht habe. Sie ist leider etwas umfangreicher geworden, so dass ich Euch gern etwas Zeit zum Lesen und somit auch zum Vorbereiten der Fragestunde einräumen möchte.

Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens nach der Nettomethode

I. Grundsatzurteil vom 17. April 2013

Das Bundesarbeitsgericht hat im veröffentlichten Grundsatzurteil vom 17. April 2013 (Gesch.-Nr.: 10 AZR 59/12) die Entscheidung getroffen, dass bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens die sogenannte Nettomethode zugrunde zu legen ist.
Unterschiede zwischen der bislang vorherrschenden Bruttomethode (BAG, Entscheidung vom 04. April 1989, Gesch.-Nr.: 8 AZR 689/87) und der Nettomethode ergeben sich immer dann, wenn der Arbeitnehmer unpfändbare Beträge (z. B. Mehrarbeit, Urlaubsgeld) bezieht.

Dass der Arbeitgeber bei der Berechnung nach der Nettomethode gezwungen ist, zwei Abrechnungen * anzufertigen, sieht das Bundesarbeitsgericht als „überschaubar und zumutbar, insbesondere angesichts der heutzutage verfügbaren Hilfsmittel für die Lohnabrechnung wie z.B. entsprechender Lohnberechnungsprogramme.“

*Der Arbeitgeber hat bei der Anwendung der Nettomethode neben der Berechnung der auf das Gesamtbruttoeinkommen abzuführende Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zusätzlich fiktiv die Steuern und Abgaben zu ermitteln, die auf das nach Abzug der unpfändbaren Beträge verbleibende Bruttoeinkommen abzuführen wären.


II. Vorgehensweise bei der Anwendung der Nettomethode

Zunächst sind bei der Ermittlung des pfändbaren Einkommens die der Pfändung entzogenen Beträge (§ 850 a ZPO) vom Bruttoeinkommen in Abzug zu bringen.

Nach dem Abzug der gemäß § 850 a ZPO unpfändbaren Beträge sind die Steuern und die vom Arbeitnehmer zu tragenden Sozialversicherungsabgaben, die auf das ohne die unpfändbaren Bezüge verbleibende Bruttoeinkommen fiktiv anfallen würden, abzuziehen.

Auf der Grundlage des fiktiven Arbeitseinkommens ist anhand der Lohnpfändungstabelle zu § 850 c ZPO der pfändbare Betrag zu ermitteln.

Das tatsächliche Nettoeinkommen wird unter Zugrundelegung der gesamten Abzüge für Steuern und Sozialversicherungsbeträge ermittelt. Hiervon ist der zuvor ermittelte pfändbare Betrag abzuziehen und an den Gläubiger abzuführen. Das verbleibende Nettoeinkommen ist an den Arbeitnehmer auszukehren.
Ernie

#3

04.03.2014, 17:51

Die Berechnungsbeispiele für Netto- und Bruttomethode findet Ihr hier:
Dateianhänge

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Ernie

#4

04.03.2014, 17:53

Und zum Schluss noch folgendes:

V. Der Arbeitgeber als Drittschuldner

Die Unterhaltslasten des Schuldners müssen im Pfändungsbeschluss nicht konkret bezeichnet (absolut festgelegt) werden.
Weil weder der Gläubiger noch das Vollstreckungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse des Schuldners nicht kennen bzw. ermitteln können, wird der Pfändungsbeschluss vielmehr so gefasst, dass er nur Angaben über den für jedes erst noch zu ermittelnde Familienmitglied verbleibenden Freibetrag enthält (= Blankettbeschluss).

Die Ermittlung und Berücksichtigung der unterhaltsberechtigten Angehörigen des Schuldners muss der Drittschuldner erledigen. Dem Drittschuldner obliegt die Berechnung und Auszahlung des Arbeitseinkommens und damit auch die zahlenmäßige Feststellung der gepfändeten Einkommensteile (Stöber, Forderungspfändung, 14. Auflage, Rd.-Nr. 1054). Einer gesonderten Anordnung im Pfändungsbeschluss bedarf es nicht.
Der Arbeitgeber als Drittschuldner hat die Angehörigen, denen der Arbeitnehmer kraft Gesetz Unterhalt leistet, festzustellen (Stöber, Forderungspfändung, 14. Auflage, Rd.-Nr. 1054a ff.).

In Zweifelfällen kann der Drittschuldner die Zustimmung des Gläubigers einholen. Teilt der Arbeitgeber dem Gläubiger die Einzelheiten der Berechnung (z.B. durch Übersendung einer Lohnabrechnung) mit und widerspricht der Gläubiger dieser Berechnung nicht, so kann er später den Drittschuldner nicht deshalb haftbar machen, weil er der Berechnung falsche Tatsachen zugrunde gelegt und deshalb dem Schuldner zu viel Lohn ausgekehrt habe (JurBüro 1961, 270; JurBüro 1962, 242).

VI. Schriftlicher Hinweis an den Arbeitgeber, die Nettomethode anzuwenden

Es bietet sich an, bei laufenden Lohnpfändungen den Arbeitgeber (Drittschuldner) anzuschreiben und diesen auf die Anwendung der Nettomethode hinzuweisen. Spätestens ab Eingang des Aufforderungsschreibens ist der Drittschuldner von der Grundsatzentscheidung in Kenntnis gesetzt worden und somit verpflichtet, diese Methode anzuwenden.

FORMULIERUNGSVORSCHLAG aus „Vollstreckung effektiv“ (9/13):

Sehr geehrte Damen und Herren,
in der Zwangsvollstreckungsangelegenheit …. gegen …… wird Bezug genommen auf den Ihnen am ….. zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts ….., AZ: …….., durch den u.a. die Lohnansprüche des Schuldners gepfändet wurden. Sie werden darauf aufmerksam gemacht, dass bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens gemäß § 850e Nr. 1 S. 1 ZPO nach neuester Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die sogenannte Nettomethode gilt. Hiernach sind die der Pfändung entzogenen Beträge gemäß § 850 a ZPO mit ihrem Bruttobetrag vom Gesamteinkommen abzuziehen. Ein erneuter Abzug der auf diesen Bruttobetrag entfallenden Steuern und Abgaben erfolgt daher nicht. Sie werden daher gebeten, diese Berechnungsmethode künftig zu beachten.

VII. Aktuelle Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse

Wird aktuell eine Lohnpfändung ausgebracht, so bietet es sich an, im Rahmen einer „Sonstige Anordnungen“ auf die Anwendung der Nettomethode hinzuweisen.

FORMULIERUNGSVORSCHLAG:

Der Drittschuldner wird angewiesen, bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens gemäß § 850e Nr. 1 S. 2 ZPO die nach neuster Rechtsprechung des BAG geltende Nettomethode anzuwenden.
Hiernach sind die der Pfändung entzogenen Bezüge gemäß § 850a ZPO mit ihrem Bruttobetrag vom Gesamteinkommen abzuziehen. Ein erneuter Abzug der auf diesen Bruttobetrag entfallenden Steuern und Sozialabgaben erfolgt daher nicht.

VIII. Wirkungsentfaltung der Nettomethode

Dem Drittschuldner obliegt –wie bereits unter V. ausgeführt- die Berechnung und Auszahlung des Arbeitseinkommens und damit auch die zahlenmäßige Feststellung der gepfändeten Einkommensteile (Stöber, Forderungspfändung, 14. Auflage, Rd.-Nr. 1054).

Weist der Gläubiger bzw. dessen Vertreter den Drittschuldner auf die Anwendung der Nettomethode hin, so ist dieser verpflichtet, die Nettomethode für sämtliche Gläubiger in der ursprünglichen Rangfolge anzuwenden. Eine Bevorteilung des Gläubigers, der den Drittschuldner auf diese Berechnungsmethode hingewiesen bzw. bereits in seinem Pfändungsbeschluss hat anordnen lassen, ist seitens des Gesetzgebers nicht vorgesehen.


So, dann kann die Stunde ja beginnen - sofern denn noch Fragen sind... :kopfkratz
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#5

04.03.2014, 18:03

Vielen Dank erstmal für die umfassende Einführung.

Was kann denn der Gläubiger machen, wenn der Drittschuldner die Nettomethode trotz Hinweis nicht durchführt? Ist dann eine Drittschuldnerklage wegen der Differenz notwendig?
Und, kennst Du eine verläßliche Internetseite, bei der man die Steuern und SV-Beiträge berechnen kann? Ich habe bei RAM fast immer andere Zahlen als in den Gehaltsabrechnungen meiner Schuldner.
Leben und leben lassen - Irren ist schließlich menschlich
Ernie

#6

04.03.2014, 18:08

@ Geniesserin:

1) Meines Erachtens nach ist tatsächlich Drittschuldnerklage geboten.

2) 100 % sichere Berechnungen kann nur der Arbeitgeber (DS) bzw. dessen Steuerberater/Buchhaltung vornehmen. Ich persönlich arbeite mit dem auf der AOK-Business-Seite vorhandenen Programm, um erhebliche Differenzen "ausfindig" zu machen.

Diese Seite (AOK) nutze ich täglich, um die Lohnabrechnungen, die uns seitens Arbeitgeber (DS) oder Schuldner zur Verfügung gestellt werden, "pi-mal-Daumen" zu prüfen.
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Cindi
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#7

04.03.2014, 18:08

Das war schon mal das erste Aha. Hab gerade festgestellt, dass ich die "Vollstreckung effektiv" 9/13 auch hab.
Ernie

#8

04.03.2014, 18:09

Bei der AOK-Seite hast Du auch immer noch die Möglichkeit, das Bundesland des Arbeitsortes, Zugehörigkeit einer bestimmten Krankenkasse etc. einzupflegen. Bei RAM bin ich mir da jetzt nicht so sicher... :oops:
Ernie

#9

04.03.2014, 18:09

Cindi hat geschrieben:Das war schon mal das erste Aha. Hab gerade festgestellt, dass ich die "Vollstreckung effektiv" 9/13 auch hab.
:mrgreen:
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#10

04.03.2014, 18:11

Wenn ich das richtig verstehe, können wir als Gläubiger im allgemeinen gar nicht die letztendlich pfändbaren Beträge ermitteln, es sei denn, es lägen uns bereits vor der Pfändung Gehaltsabrechnungen des Schuldners vor (die auch nicht immer so klar sind, wenn ich ehrlich bin).
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