Hin und Her gerissen

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rit-sch
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#1

15.10.2012, 22:32

Ich habe, wie ihr wohl alle wisst in den letzten vier Jahren einiges verkraften müssen. Von der Umstrukiturierung auf 14 Stunnden die Woche hatte ich ja auch bereits geschrieben. Nun ja. Jedenfalls hatte ich das Glück (?), eine Stelle für 20 Stunden vormittags zusätzlich bei einem Ex-Chef von mir zu finden, d. h. er hat in der selben Sozietät wie ich gearbeitet, aber direkt mit ihm zusammen gearbeitet habe ich nie. Ich wusste wohl, dass er ziemlich chaotisch ist, aber wie chaotisch, habe ich jetzt erst wirklich kennen gelernt. An sich verstehe ich mich mit ihm ja ganz gut; er hat im Einstellungsgespräch auch geäußert, "dass Sie was können, wissen wir ja". Er hat mich eingestellt, um Organisation reinzubringen, die Eingangspost - soweit ich es selber kann - zu bearbeiten und die Buchhaltung zu erledigen. Das sind alles Aufgaben, die mir normalerweise keine Probleme bereiten. Jetzt bin ich seit zwei Monaten da und nichts läuft. Im ganzen Büro sind stapelweise Akten verteilt, die wohl auch noch igendwelche Posteingänge in sich tragen, so dass man sich nach jeder Akte totsucht. Er hat Anfang des Jahres eingeführt, dass sämtliche Posteingänge eingescannt werden. Ist ja nicht wirklich verkehrt. Aber unser Sacanner ist so langsam und der Einzelblatteinzug funktioniert auch nicht wirklich. Dazu gibt es eine zweite Halbtagskraft, die das eigentlich durchführen soll und auch die Eingänge den entsprechenden Akten zuordnen soll (die dann auch irgendwo rumliegen, ohne dass Chef sie bearbeitet), die das aber ganz offensichtlich nicht auf die Reihe bekommt (sie hat Eingänge mit Anfangsbuchstabe "B" für den Mandanten in eine Akte sortiert mit dem Anfangsbuchstaben "M" für den Mandanten, also völlig verschiedene Mandanten); sie fragt unsere Auszubildende bei Eingängen, wo wirklich zweifelsfrei draufsteht, um welche Sache es geht, wo denn das reingehört.
Ok, ich will jetzt gar nichts weiter ausführen, aber ich weiss in diesem Laden echt nicht, wo ich anfangen soll. Alles, was ich anfange, scheitert schon an dem Verhalten meines Chefs. Er kommt dann auch noch ständig mit privaten Sachen. Ich weiss ehrlich nicht, ob ich das jetzt irgendwie rüberbringen konnte, aber es ist alles so, wie ich es in 37 Jahren noch nicht erlebt habe. Ich will gute Arbeit abliefern, aber fast jeden Mittag gehe ich raus und frage mich, was habe ich überhaupt gemacht? Das ist so frustrierend.

Ach schXXX, ich glaube, ich höre lieber erst mal auf. Es ist wahrscheinlich sowieso nicht sehr verständlich und sehr durcheinander. Das bin ich allerdings im Moment auch. Manchmal habe ich das Gefühl,, ich könnte dort vielleicht etwas bewegen. Im nächsten Moment bin ich völlig hoffnungslos. Ich würde meinem Chef gerne mal ganz schonungslos sagen, was ich von seiner Arbeitsweise halte, aber ich bin auf den Job angewiesen, um nicht wieder in Hartz IV zu rutschen.
Liebe Grüße
Rita


Sie können nie so krumm denken, wie es kommen kann, sagte mein Bürovorsteher während meiner Ausbildung immer. Er hatte recht.
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Kanzleihund
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#2

15.10.2012, 22:40

Ich würde Dir gern damit Mut machen, Dir folgende Sätze zu verinnerlichen. "Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben" und "Es sind nicht Deine Akten". Vielleicht macht es Dir Spaß, das vorhandene Chaos nach Deinen Vorstellungen zu organisieren. Allerdings ist es aber nicht Dein Problem, wenn Dein Chef meint, die Akten vor sich hin dümpeln zu lassen und im Chaos zu versinken.
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RechtsKnecht
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#3

16.10.2012, 00:23

Also erstmal herzlichen Glückwunsch: Dein Chef ist kein A****loch! Das ist schonmal die halbe Miete, weil damit die Chancen ganz gut stehen, dass man mit ihm reden kann.

Und genau das würde ich mit ihm tun -> reden!

Folgende Punkte würde ich (in Reihenfolge) klären:
- Ist er sich über den chaotischen Zustand seiner Kanzlei bewusst? Wenn nein -> Bewusstsein herstellen
- Ist er sich darüber im Klaren, dass dieser Zustand 1. ihn schnell in Haftungsfälle schliddern lässt und 2. ihn mit Sicherheit laufend Reputation kostet? Wenn nein -> Klarheit herstellen

Sollte das geschafft sein, dürfte er offen für Vorschläge sein. Sollte er die Situation bereits in vollem Ausmaß korrekt erfasst haben, dann dürfte er sowieso für Vorschläge offen sein.

Denkbare Lösungsansätze wären m.E. z.B.
- Erhöhung deiner Arbeitszeit, damit du Ordnung ins Chaos bringen kannst
- Änderung der grundsätzlichen Kanzleiorganisation, wenn ersichtlich ist, dass es daran hapert
- Anschaffung eines Einzugscanners (brauchbare Geräte ab ca. 300 EUR) oder vielleicht sogar von so einem schnuckeligen netzwerkfähigen Multifunktionsgerät (brauchbare Geräte ab ca. 1000 EUR)


Letztlich wirst du selbst die besten Lösungvorschläge haben, da du ja mitten drin sitzt. Da er dir ja scheinbar sowohl persönlich als auch fachlich vertraut, sollte er da auf jeden Fall ein offenes Ohr haben. Es ist an sich nicht deine Aufgabe, die Sache hinzubiegen, aber scheinbar würdest du ja gerne längerfristig bei ihm arbeiten, wenn das Chaos irgendwie zu beseitigen wäre.



Ich hoffe, mein Post hat dir irgendwie weitergeholfen. Ich befürchte, er ist wegen der späten Stunde etwas wirr zu lesen geworden. Sollte er zu schlimm sein, editier ich ihn morgen... ähh, heute früh nochmal.
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Tigerle
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#4

16.10.2012, 08:32

Ich kann mich den Ausführungen von RechtsKnecht nur anschließen.

Du solltest dringend ein Gespräch suchen und auf alles hinweisen, was Dir aufgefallen ist.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie Du dich fühlst, da ich ebenfalls in einer ähnlichen Situation schon war.

Vielleicht könnt Ihr ja, bis das Chaos in der Kanzlei beseitigt ist, zeitraubende Tätigkeiten, die ausgelagert werden können (Diktate schreiben etc.) abgeben, sodass Ihr Euch in der gewonnen Zeit wirklich auf die Akten, die Post etc.

Außerdem hilft es vielleicht, Arbeitsanweisungen oder ein Handbuch - was jedoch sehr zeitraubend ist - zu fertigen, so dass sich alle anderen Kolleginnen daran orientieren können, wie etwas zu bearbeiten ist.
sansibar
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#5

16.10.2012, 08:59

Wenn ich das richtig verstanden habe, stinkt der Fisch vom Kopf her, also dein Chef trägt einen ganz erheblichen Anteil an dem Problem, weil er die Sachen nicht abarbeitet. Ich habe mal in so einer Situation durchsetzen können, dass wir eine ganze Wand mit Bearbeitungsfächern eingerichtet haben, also ein Fristfach, ein Eilt-Fach, ein bzw. mehrere Postbearbeitungsfächer für jeden von uns. Und meine Kolleginnen und ich haben dann unsere Fächer jeweils abgearbeitet und die vom Chef natürlich befüllt. Das was ihm schon rein optisch eine Lehre - und es gab ihm eine Struktur, weil er die Fächer von oben nach unten nach Dringlichkeit abarbeiten konnte. Das hat natürlich keinen Musterarbeiter aus ihm gemacht, aber es hat geholfen.
Außerdem hatten wir die Vereinbarung, dass ich ihm eine Zeit lang die Fristen wirklich täglich auf´s 'Auge drücke, also ähnlich wie bei einer schlecht strukturierten Azubine ihm EINE Akte zum Bearbeiten vorlege, und wenn er damit fertig ist, die nächste etc. Das war ihm super peinlich (wir haben es auch nicht öffentlich gemacht), aber es hat ihm auch geholfen, sich zu strukturieren.
Viele Anwälte haben ein Problem damit und ich habe es damals auch als Herausforderung verstanden, Ordnung ins Chaos zu bringen, aber wenn er nicht mitmacht und deinen Vorschlägen offen gegenübersteht, hast du echt schlechte Karten.
Ich bin dann übrigens irgendwann aus anderen Gründen aus der Kanzlei gegangen und meine Abwesenheit hat sehr schnell dazu geführt, dass der alte Schlendrian wieder um sich griff....
Grüße - sansibar
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Kanzleihund
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#6

16.10.2012, 09:05

Ich halte nicht viel davon, auf einen Anwalt erziehend einwirken zu wollen. Mich nerven diese Erziehungsversuche derart, dass ich dann schon aus Trotz eine Verweigerungshaltung einnehme.
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Pepples
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#7

16.10.2012, 09:41

Es sind aber nicht alle wie Du KH und es gibt nunmal Leute, die schlicht und ergreifend nicht strukturiert arbeiten können und denn man das zeigen muss.
"Sie hören von meinem Anwalt" ist die Erwachsenenversion von "Das sag ich meiner Mama!" 134
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Kanzleihund
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#8

16.10.2012, 09:48

Wieso muss man es denen zeigen, sie sind erwachsene Anwälte :kopfkratz
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#9

16.10.2012, 09:58

Weil nicht jeder sich das aussucht, so unstrukturiert zu arbeiten. Mancher beherrscht halt das Chaos, und manch einer ist, wie @sansibars Chef, dankbar für eine von außen aufgezwungene Struktur, an die er sich klammern kann. Bloß weil ich erwachsen und Anwalt bin, hab ich nicht zwingend den Stein der Weisen in Sachen Büroorganisation gefunden. Es geht dabei m.E. auch nicht darum, den Chef "erziehen" zu wollen, sondern einfach darum, eine gemeinsame Basis zu finden, mit der alle im Büro zuverlässig zusammenarbeiten können.

Kommt mal bitte jemand und richtet mir Dringlichkeitsfächer ein? :pfeif

@rit-sch: Ich schätze, Dein Chef gehört zu der Truppe, die eine ihnen vorgesetzte Struktur dankbar annehmen würden. Viel Erfolg!
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Kanzleihund
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#10

16.10.2012, 10:02

Adora Belle in Sachen Büroorganisation geht es meines Erachtens immer um ein Miteinander. Ich habe den Stein der Weisen auch nicht erfunden, aber den Spruch: "Das macht man so" habe ich schon als Kind gehasst.
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