Azubi denkt nicht mit - benötige Tipps

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Sans1983

#1

09.09.2016, 10:43

Hallo zusammen,

wir sind eine RA- und StB-Kanzlei mit 3 RAe, 2 Refa, 1 Azubi (nunmehr 2. Lehrjahr) sowie dem Steuerteam.
Unsere Kanzlei arbeitet so gut wie möglich papierlos (Posteingang wird nicht mit Akte vorgelegt, sondern gescannt und im PC dem jeweiligen Akte/RAe zugeordnet). Dies nur so als Hintergrundinfo.
:sad:
Mein Problem ist:

Am Anfang der Ausbildung war meine Kollegin für die Ausbildung zuständig. Unsere Azubine macht einen guten Eindruck und war auch lernwillig. Jedoch lässt sie sich so schnell ablenken und denkt überhaupt nicht mit. Hinzukommt, dass sie zuhause "gepampert" wird, so dass Kaffee kochen, Küche sauber machen (wobei hier ein Wechselmodus besteht, damit alle Angestellten dies tun müssen), Blumen gießen schon ein Problem darstellt. Außerdem ist sie sehr sehr schüchtern. Meine Kollegin war dann wohl etwas zu forsch für das schüchterne Mädchen und die Zuständigkeit wurde auch mich übertragen, nachdem der Papa des Azubis sich beschwert hatte.

Nun nach einem Jahr sollte sie die ihr übertragenen Aufgaben:

Post scannen (nur RA)
Post benennen (z. B. Schr. v. LG, Übers. Verfügung oder. SS v. RAe XY, Stellungnahme zu Gutachten)
Blumen gießen
Küchendienst
Besprechungszimmer aufräumen/Getränke auffüllen
Telefonate annehmen (RA + StB)
Mandanten betreuen (RA + StB)
kleine Diktate schreiben (nur RA)
selbständige kleinere Schreiben fertigen (nur RA)
Originalunterlagen zurückschicken (nur RA)
Akten An- und Ablage (nur RA)

können.

In unserer Kanzlei ist es so, dass wir recht wenige Diktate schreiben. Unsere RAe arbeiten selbständig, so wie wir Refas auch. D. h. der Anwalt leitet allen Posteingang weiter, der an Mdt. zur Kenntnisnahme soll. Dann machen wir die E-Mails, Faxe oder Schreiben fertig. Diese Schreiben darf auch unser Azubi machen, jedoch mit Kontrolle vor Ausdruck von mir. ZV wird auch von uns selbst durchgeführt. Bei KR erhalten wir nur eine Notiz mit KR machen oder eine Liste mit den abzurechnen Akten (wir arbeiten sehr viel mit Stundensatz)

Wir haben immer eins nach dem anderen gezeigt, sind oft nebendran gesessen und haben zugeschaut, auf Fehler hingewiesen und erklärt. Erst wenn sie es eigentlich konnte, durfte sie selbst Arbeiten erledigen, die hinterher noch kontrolliert wurden. Dabei zeigte sich, dass sie nach ca. 1/2 bis 3/4 auf einmal wieder viele Fehler macht. Sitze ich nebendran, funktioniert es.
Aber sie denkt halt absolut nicht mit und versteht die einfachsten Schreiben manchmal nicht. Das ist bei der Postzuordnung sehr fatal.
Diktate schreiben ist ein Problem, weil man zuhören, schreiben und mitdenken muss. So schreibt sie z. B. Aktenzeichen in einem Schreiben nach Diktat "4 O 352 aus 15". Frage ich sie dann hinterher, wie ein Aktenzeichen aufgebaut ist, weiß sie, dass das "aus" ein "/" ist.
Solche Probleme hab ich immer wieder, dass sie es theoretisch weiß, aber nicht umsetzen kann. Nach wie vor ist unsere Software eher schwierig für sie. (Gerade einen Geschäftsführer oder den entsprechenden Vertreter einer Firma anlegen)
Bevor sie ans Telefon durfte, haben wir sie auf ein Telefonseminar bei der IHK geschickt, damit sie erste Grundzüge des Telefonierens einfach kennt und nicht so ins kalte Wasser geworfen wird. Das Fehler passieren ist klar, da mache ihr ihr auch keine Vorwürfe. Aber sollte man mit 18 nicht wissen, wie eine Vorwahl aufgebaut ist?? Zumal unser Programm am PC unten an der Uhr die Nummer anzeigt und die Vorwahl hier sogar in Klammern steht.

Sie konnte letztens nicht mal auf weißem Papier kopieren, weil sie das falsche Fach im Kopierer (das Briefkopf-Fach) ausgewählt hat und dann erstaunt feststelle, dass dort ja Briefpapier drin ist. Allerdings füllt sie fast jedes Mal Papier nach!

Außerdem macht sie meist nur das was man ihr sagt, denkt keine Sekunde darüber nach, ob das richtig sein könnte oder nicht. Wenn RAe Anweisungen geben die nachweislich nicht so bei uns umgesetzt werden, führt sie diese aus ohne eine Nachfrage. Weise ich sie auf den Fehler hin, kommt meistens "ahja, das kam ihr schon komisch vor". Aber sie frägt nicht nach sondern kassiert lieber die Fehlerhinweise von mir.

Musterschreiben passen eben auch nicht immer. Die klare Anweisung von mir, selbst ein Schreiben an den Mandanten zu entwerfen (4 x wiederholt) wird ignoriert und der Mustertext genommen und mir präsentiert. Ich komme mir da verarscht vor.

In der Schule ist sie wohl ganz ok. Aber hier zeigt sich, die Fächer zum Auswendiglernen funktionieren mit einer 1, die rechtlichen Fächer (verstehen und anwenden) eher mit einer 2-3. Ein RA lernt mit ihr für Arbeiten, meist 2-3 Wochen vor einer Arbeit für 2-4 Stunden wöchentlich. Das funktioniert wohl ganz gut.

Habe mir ihr schon gesprochen, sehr behutsam, damit Papa nicht wieder anruft, aber sie bricht dann immer in Tränen aus. Sie weiß auch, dass sie Fehler macht.
Ich mag ihr ja was beibringen, aber ZV, KR usw. trau ich mich ja gar nicht, wenn nicht mal kleine Schreiben richtig sind.

Aber ich hab ihr zu verstehen gegeben, dass Fehler nicht gleich Fehler ist. Einige Fehler dürfen passieren, dafür lernt sie ja noch. Aber nicht die gleichen ständig und immer wieder. Irgendwann muss es auch Sachen geben, die funktionieren.
Ihre Aussage, das Telefon störe ja immer bei der Arbeit habe ich mit Staunen entgegen genommen und ihr erklärt, dass sie fast immer ein Telefon zu bedienen haben wird. Vor allem, weil wir uns zu dritt ja das Telefon teilen.

Wie kann ich denn meinen Azubi etwas zum mitdenken animieren?
Welche Arbeiten machen denn Azubis im 1. bzw. 2 Lehrjahr bei euch?


P.S.: Sorry, ist ein langer Text geworden, aber ich weiß irgendwie nicht weiter.
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#2

09.09.2016, 12:09

Im ersten Teil deines Berichts dachte ich spontan an Legasthenie. Nachdem du aber schreibst, dass sie in der Schule gar nicht so schlecht ist, kann es das schon mal nicht sein.
Irgend etwas könnte vielleicht privat oder etc. vorgefallen sein, wodurch sie sich nicht mehr konzentrieren kann und lauter Fehler macht. Nachdem es nichts bringt, wenn du selbst mit ihr redest, nachdem sie dann nur anfängt zu weinen, würde ich es tatsächlich darauf ankommen lassen, dass sich der Vater in der Kanzlei meldet, damit du die Möglichkeit hast, dich mal mit ihm auszutauschen. Der bekommt ja so was nicht mit.
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#3

09.09.2016, 13:01

Klingt ganz danach, als ob sie nicht kritikfähig ist und sich hinter ihren Eltern versteckt oder die Eltern ihr nichts zutrauen und sie dauernd verteidigen, wenn der Vater bei euch angerufen hat.

Macht ihr am besten klar, dass sie nicht immer Azubi bleiben wird. Es wird Arbeitgeber geben, die ihr nach paar Fehlern die Kündigung in die Hand drücken werden (mal extrem ausgedrückt). In der Ausbildung wird sie nur wenig Verantwortung tragen und da muss sie lernen fehlerfrei zu arbeiten. Und ihr ganz dringend vor Augen führen, auch wenn sie die Prüfung schafft, wenn sie nicht anfängt mitzudenken in Kanzleien, sie nie lange da bleiben wird.

Klingt für mich auch, als ob sie sehr nervös ist. Vielleicht mit ihr Übungen machen, die helfen Nervösität zu reduzieren. Nervösität ist große Fehlerquelle, die manchmal übersehen wird.

Und wenn das nächste Mal der Vater anruft, macht dem klar, dass dies die Arbeitsstelle seiner Tochter ist und NICHT die Grundschule. Fragt ihn mal, was die Kollegen von ihr halten sollen und ob diese seine Tochter ernst nehmen werden, wenn der Vater sich um die Probleme seiner Tochter kümmert, statt dass sie es als erwachsene Person (oder fast erwachsene) selber löst.
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#4

09.09.2016, 15:03

Klingt jetzt vll komisch, aber wird sie auch mal gelobt, wenn sie was richtig macht? Vll würde das ja motivieren. Ansonsten würde ich das Gespräch unter vier Augen suchen und fragen, ob mit ihr was ist. Es muss ja einen Grund haben, warum sie sich so verändert hat. :kopfkratz
"Das Leben ist zerbrechlich. Binnen eines Lidschlags kann einem alles genommen werden. Es ist leicht, sich ein Gefühl falscher Sicherheit zuzulegen. Ich lasse mich lieber auf die Zerbrechlichkeit des Lebens ein und genieße es hier und jetzt in seiner ganzen majestätischen Schönheit."

Ich finde, Francis Ackerman jr. hat dies sehr schön zum Ausdruck gebracht. :mrgreen:
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#5

11.09.2016, 09:38

Phuuu das kenne ich auch von unserem Azubi. Manchmal denkt sie echt Null mit. Zum verrückt werden :vogel :vogel :vogel
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Kanzleihund
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#6

11.09.2016, 19:58

Das klingt jetzt vielleicht doof, aber sich darauf einstellen, dass die Azubine Fehler macht. Ich habe das Gefühl, dass sie sich aufgrund der Fehler selbst nicht traut. Dann ist schnell der Wurm drin... Oder sie kann nicht damit umgehen, dass sie keinen neben sich sitzen hat, der ihre Arbeit überwacht. So etwas kann nämlich auch enormen Halt geben. Lieber erst mal (ohne Druck) machen lassen. Vielleicht wird es dann besser. Wir hatten auch mal so ein Lehrmädel. Als sie dann aus gelernt hatte, wurde sie zu einer super Mitarbeiterin.

Ich finde es gut, wenn sich Eltern für die Ausbildung interessieren. Es ist zwar nicht Grundschule, aber mit 16 Jahren sind die jungen Damen meist doch noch halbe Kinder. Vielleicht weiß der Vater, warum es plötzlich nicht mehr geht. Nach Deinen Schilderungen habt ihr wohl eher ein Sensibelchen. Dein(e) Chef(s) könnten doch mal zu einem Elterngespräch einladen. Man kann da eine nette Atmosphäre schaffen und vielleicht dort einen Schritt weiter kommen.
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#7

11.09.2016, 21:10

Kanzleihund hat geschrieben:Es ist zwar nicht Grundschule, aber mit 16 Jahren sind die jungen Damen meist doch noch halbe Kinder.
Wieso 16? Das "halbe Kind" ist doch schon 18...
Milchreis schmeckt ganz vorzüglich, wenn man ihn kurz vor dem Verzehr durch ein saftiges Steak ersetzt.
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#8

12.09.2016, 07:11

Darf man fragen was sie vorher gemacht hat? Abi oder vielleicht etwas abgebrochen und ist bei euch nur so reingerutscht? Mit 18 denke ich sollte das schon besser klappen als das was du beschreibst
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#9

12.09.2016, 08:21

Ich finde es fast schon lächerlich, dass sich hier der Vater einmischt und beschwert. Ich bin mir sicher, dass sein Töchterchen in anderen Bereichen sehr gerne volljährig ist :pfeif
Lass den Vater ruhig öfter anrufen. Offensichtlich weiß er nicht, welche Probleme Ihr mit seiner Tochter habt, bzw. welche sie bereitet.
Man kommt doch nicht in die Ausbildung, um auf das Leben vorbereitet zu werden. Das ist die Aufgabe der Eltern.
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#10

12.09.2016, 09:01

Das Problem des fehlenden Mitdenkens haben wir hier auch ganz massiv. Ich weiß nicht, wie man das ändern kann. Ich versuche, zu erklären, warum wir etwas so und so machen in der Hoffnung, dass die Azubis es sich merken. Das klappt leider nur bedingt.

Manchmal denke ich, Mitdenken/Gedankentransfer, einfach eine Aufgabe auf eine neue Situation zu übertragen, wird in den Schulen nicht mehr gelernt. Dafür können die Azubis aber nichts.

Eigentlich müsste man sich massiv bei den Schulen am Ort beschweren, wobei die wohl auch keinen Einfluss auf den Lehrplan haben.

Küche sauber halten und Blumengießen macht bei uns die Putzfrau. Allerdings muss das Kaffeegeschirr jeden Abend gespült werden. da wechseln sich die Azubis ab. Das geschah aber auch erst nach Ansage. Die würden es sonst bis zum Wochenende liegen lassen.

Manchmal verzweifle ich an der heutigen Erziehung.
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